Ausstellungsansicht Wolfgang Betke, Courtesy SETAREH und der Künstler, Foto: Ivo Faber
Versuch einer Einhegung des Subjektiven – Wolfgang Betke: und plötzlich: DER SÜßE KÜHLE DUFT VON MORGENWALD, SETAREH
Zeitungsleser, denen das Marxsche Diktum einer sich als Tragödie und Farce ereignenden Dopplung historischer Ereignisse nicht unbekannt ist, mögen mit angemessener Wachsamkeit einige vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens zur Randständigkeit verkommene Meldungen über pogromartige Ausschreitungen im Kunstverein Zwickau verfolgt haben, im Zuge derer sich das dortige Personal und Publikum lautstarken und teils handgreiflichen Einschüchterungsversuchen seitens bräunlich verfärbter Corona-Leugner*innen ausgesetzt fand. Zeitgleich zur Verbreitung eines jedwede freie Kunstauffassung anprangernden Gedankenguts über abseitige Social-Media-Kanäle formierte sich im Gegenzug eine von zahlreichen Kunstmuseen mitbegründete Initiative, die sich gegenüber der Politik für ein stärkeres Engagement zum Schutz vor rechtsextremer Aggression einsetzt. Obgleich Kunstguckerinnen und -gucker auch andernorts gut daran tun, dieses Anliegen zu unterstützen, bleibt zu konstatieren, dass sich eine freie Kunstszene, die sich ihre Existenzberechtigung ex negativo gegen dahingehende Tendenzen zu behaupten genötigt sieht, unweigerlich in der Defensive wiederfindet, und dass es sich auch damit keinesfalls abzufinden gelten sollte. Hinsichtlich vielfältiger Möglichkeiten, sich angesichts eines evidenten Bildungsvorsprungs nicht mehr als nötig in ein dahingehendes Schema hineinzwingen zu lassen, könnte sich beispielsweise ein Perspektivwechsel als probat erweisen, welcher mit einem anthropologisch motivierten Blick auf den sich hier eröffnenden Sachverhalt einhergeht.
Wolfgang Betke: Garden Fluide, 2018 – 2021, 200 x 170 cm, Mischtechnik auf Leinwand, Courtesy SETAREH und der Künstler, Foto: Ivo Faber
Zunächst drängt sich diesbezüglich der Eindruck auf, dass es sich bei dem von besagter Gruppierung mit fragwürdigem Stolz zur Schau gestellten Antiliberalismus um eine symptomatisch zu Tage tretende Spielart dessen handelt, was im Kontext der Psychoanalyse als sogenanntes Unbehagen in der Kultur qualifiziert wird. So wie das Wort tolerieren seiner ursprünglichen Bedeutung nach nichts anderes als ertragen bedeutet, erfordert das Zusammenleben innerhalb einer auf gegenseitigem Respekt beruhenden Gesellschaft ein ebenso auf Gegenseitigkeit beruhendes Maß an Resilienz, was dem ein oder anderen mitunter Probleme bereitet und, so wie Sigmund Freud in diesem Zusammenhang ausführt, zu Neurosen oder gar Schlimmerem führen kann.1 In gewisser Hinsicht könnte man gegenüber den eingangs erwähnten Krakeelern mithin ein wenig Mitleid empfinden, welche über kurz oder lang vermutlich somatischen Beschwerden anheimfielen, sobald sie damit aufhörten, ihrer Intoleranz gegenüber Andersdenkenden in der ihnen eigenen Weise Luft zu machen. Bezüglich der Frage, ob die Kultur nicht nur als Teil, sondern auch als mögliche Lösung des hier skizzierten Dilemmas verstanden werden könnte, lohnt wiederum ein Schwenk in die Gedankenwelt des Deutschen Idealismus, genauer gesagt hin zu jener ästhetischen Konzeption, die Friedrich Schelling um 1800 zu Papier gebracht hat, und deren Eingangsbehauptung sich in knappen Worten so zusammenfassen ließe: Gemäß der Feststellung, dass alles, was dem Ego in seiner unendlichen Entfaltung Einhalt gebietet, der lästige Rest der Welt respektive der existentiellen Abhängigkeit von Selbigem sei, bewegt sich die menschliche Selbstwahrnehmung zwischen den konträren Polen totaler Subjektivität und Objektivität.2 Schellings spezifischer Auffassung zufolge besteht die finale Berufung eines Philosophen darin, diese Gegensätze in vollkommener Übereinstimmung zueinander zu denken, was lediglich mittels der abstrakten Vorstellung eines ins Unendliche tendierenden Nivellierungsprozesses möglich sei. Da, wo das rationale Denken an Grenzen stoße, erweise sich als einzig geeignetes Medium, um die Auflösung dieser Gegensätze unmittelbar zur Anschauung zu bringen, die Kunst, innerhalb welcher sich das Unendliche in gleichsam kompakter Gestalt manifestiere.3
Wolfgang Betke: Lao Tse kurz vor der Grenze, 2021, 240 x 200 cm, Acrylfarbe, Pastellkreide und Kohle auf Leinwand, Courtesy SETAREH und der Künstler, Foto: Ivo Faber
Auch wenn der hier angerissene Gedankengang gerade hinsichtlich seiner empirischen Belegbarkeit ziemlich im Ungefähren bleibt, zeichnet er sich nichtsdestoweniger durch ein unbestreitbares Maß an Originalität aus. Ungeachtet ihrer etwaigen Faktizität könnte man der von Schelling vollzogenen Denkfigur also durchaus selbst den Charakter eines Kunstwerks zusprechen. Interessant vermag sich bisweilen auch ihre Verwendung als rezeptionsästhetischer Sidekick zu gestalten, zu welcher eine derzeit stattfindende Ausstellung des in Berlin ansässigen Künstlers Wolfgang Betke Gelegenheit zu bieten scheint. Seinerseits infolge eines abgeschlossenen Studiums der Philosophie und der Kunstgeschichte mit einem geisteswissenschaftlichen Background ausgestattet und als Absolvent eines darauf folgenden Studiums an der Hamburger HFBK bei Franz Erhard Walter hat sich der gebürtige Düsseldorfer im Zuge seiner bereits mehr als drei Jahrzehnte andauernden Laufbahn mit einem reichhaltigen Spektrum an unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten vielseitig aufgestellt: Neben Tätigkeiten als zeitweiliger Mitherausgeber einer Zeitschrift, Redakteur für eine Reihe von Radiosendungen und Performancekünstler machen einen Hauptteil seines Schaffens bildhauerische und nicht stringent davon zu unterscheidende malerische Positionen aus, deren jüngste gerade bei SETAREH zu besichtigen sind.
Einem ersten Blick nach zu urteilen bedürfen die wandfüllenden Formate keinerlei Interpretationshilfe; so wie das Blitzlicht für einen Augenblick die Kamera und den Fotografen unsichtbar macht, lässt auch die Fülle ästhetischer Perzeptionen die Frage nach dem Wie und Warum kurzzeitig in den Hintergrund treten. Nach und nach kommt das Auge dazu, das Moment einer angenehmen Reizüberflutung mit jenem einer konsistenten Bildsituation zu verkoppeln und den Blick auf dahingehende Formalien zu richten. Eingedenk der Tatsache, dass sich die kunstvermittlerisch viel bemühte „Schwelle zur Ungegenständlichkeit“ je nach Art und Weise, wie sie bespielt wird, als Ort unverminderter visueller Kurzweil erweisen kann, macht sich eine aufrichtig bestaunenswerte Anmutung hier an einem nicht in Gänze ergründbaren Oszillieren zwischen Zwei- und Dreidimensionalität fest. Gleichwohl, wie auch vor vergleichbaren Beispielen malerischer Virtuosität, eine zur Fokussierung aufs Detail einladende Sogwirkung entsteht, über welche man unweigerlich das Gesamte aus den Augen verliert, vermittelt sich, und das ist bei aller augenscheinlichen Opulenz bemerkenswert, über das hier Gezeigte nicht der Eindruck einer pauschalen Zurschaustellung darin zur Anwendung gebrachter Fertigkeiten. Dass der Werkprozess im Fall von Wolfgang Betkes Bildern gerade nicht auf eine Überakkumulation maltechnischer Kunstgriffe hinausläuft, verdankt sich einer langsamen Arbeitsweise, welche ausreichend Zeit zur Abwägung diesbezüglicher Entscheidungen lässt: Das Kunstwerk weiß selbst, was für sich am Besten ist und wird daher zwischenzeitlich in Ruhe gelassen, so dass aktionistische Impulse ins Leere laufen und die sich infolge von etwas Abstand als angemessen herausstellende Handlung an ihm vorgenommen werden kann. Regelmäßig wird dabei nichts Neues hinzugefügt, sondern Altes mittels Abschleifung bereits vorhandener Farbschichten, im Zuge welcher manchmal auch tief in den darunterliegenden Bildträger vorgedrungen wird, entfernt. Über einen deskriptiv nur ansatzweise erfassbaren, formalästhetischen Facettenreichtum hinaus offenbaren sich so konzeptuelle Grundzüge die sowohl anhand einiger Werktitel, wie auch einer an einigen Stellen aufblitzenden figurativen Motivik nachvollziehbar werden.
Wolfgang Betke: Die Betrachtung kleinster Teile, 2019 – 2020, Mischtechnik auf Leinwand, 205 x 170 cm, Courtesy SETAREH und der Künstler, Foto: Ivo Faber
Noch eher ließe sich an dieser Stelle von einer Kohärenz konzeptueller und weltanschaulicher Implikationen sprechen, die einen dezidierten Zusammenhang zu Grundsätzen fernöstlich-antiker Denktraditionen erkennen lassen. In Entsprechung zu einem für den Ausstellungstitel verwendeten Zitat aus Lao Tses Daodejing verweisen fragmentarisch gehaltene Menschen- und Tierdarstellungen auf die in der für die chinesische Philosophie maßgebliche Schrift enthaltenen Erzählungen, welche überdies in Form eines kurzen, dem Begleittext vorangestellten Auszug als kontemplativer Sound zum hier dargebotenen Programm funktionieren:
Schwer und leicht vollenden einander.
Lang und kurz gestalten einander.
Stimme und Ton vermählen einander.
Vorher und Nachher folgen einander.“
Yin und Yang halt, ließe sich an dieser Stelle leichtfertig anmerken, wobei die positive Differenz zwischen lapidarer Zurkenntnisnahme und nachhaltig praktischer Umsetzung genau die Qualität auszumachen scheint, welche sich in Wolfgang Betkes Bildern offenbart. Dass Künstlerinnen und Künstler Fehler machen, und über Vorgänge der Selbstkorrektur eine Annäherung an ein ihrerseits angestrebtes Ideal vollziehen, ist einigermaßen selbstverständlich, wohingegen sich ein partikuläres Merkmal im Werk dieses Künstlers an der produktiv bildnerischen Einbeziehung dieser Vorgänge und der Annäherung an ein solches Ideal gerade infolge einer dahingehenden Sichtbarmachung festmacht. Im Resultat zeichnet sich so eine Dialektik ab, auf der letztlich auch die entscheidend an den Daoismus angelehnte Vorstellung einer endlosen Nivellierung der oben verdeutlichten Gegensätze aufbaut und die sich, wenn auch niemals abschließen, so doch ihrer Idee nach adäquat zur Anschauung bringen lässt.4 Eine weitere aus dem Chinesischen überlieferte aber offensichtlich nicht auf Lao Tse zurückgehende Sentenz lautet „Mögest Du in interessanten Zeiten leben.“, womit einer lakonisch-maliziösen Diktion entsprechend nichts anderes gemeint ist, als dass man dem Adressaten ein Leben unter maximal schrägen Begleitumständen wünscht. Was schadet es schon, inmitten eben solcher ein paar anders interessanten Reflexionen, die angesichts des hier Gezeigten niemandem schwer fallen dürften, nachzugehen und auf dem Weg noch den Duft der nun nach und nach erblühenden Bäume einzuatmen?
Wolfgang Betke:
und plötzlich: DER SÜßE KÜHLE DUFT VON MORGENWALD
5. März – 16. April 2022
SETAREH
Königsallee 27
40212 Düsseldorf
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag 10 – 19 Uhr
Samstag 10 – 18 Uhr
Fußnoten
- Vgl. Sigmund Freud, Kerstin Krone-Bayer (Hrsg.), Lothar Bayer(Hrsg.): Das Unbehagen in der Kultur, Stuttgart 2012.
- Vgl. F. W. J. Schelling, Walter E. Erhardt (Hrsg.): System des transzendentalen Idealismus, Hamburg 2000.
- Vgl. F. W. J. Schelling, Werner Beierwaltes (Hrsg.): Texte zur Philosophie der Kunst, Stuttgart 1986.
Eine bündige Zusammenfassung von Schellings Ästhetikkonzeption findet sich in Norbert Schneider: Geschichte der Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne, Stuttgart 1996, S. 66. ff.. - Vgl. Kwok Kui Wong: Schelling’s Understanding of Laozi, online veröffentlicht im Oktober 2017 bei Springer Science+Business, Luxemburg