Gregor Russ: AS IF!

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Ausstellungsansicht, Courtesy SAUVAGE und der Künstler, Foto: Gregor Russ

Let’s Go Crazy / Art Reception Melt­down – Gregor Russ: AS IF!, SAUVAGE

Die bun­ten Fische in den Aqua­rien waren schön ge­we­sen. Bei dem Essen war er sich nicht so sicher. Ente und Dim Sums in an­geb­li­cher Hong­kong-Qua­li­tät, von de­nen er ge­ra­de die Letz­te­ren eher so lala ge­fun­den hatte. Ein Klarer wäre nicht schlecht ge­we­sen, aber da­nach hatte man in dem Laden gar nicht erst zu fra­gen brau­chen. Wäh­rend er den Kopf an die Schei­be ge­lehnt die Au­gen schloss, nahm er hin­ter sei­nen Lidern den schwa­chen Schim­mer an ihm vor­bei­zie­hen­der Leucht­rek­la­men wahr. Dann hielt der Fah­rer an und er han­tier­te eine Wei­le mit der neuen Bezahl-App rum und war dann da. Drin­nen er­zähl­te ein ha­ge­rer Mann mit run­der Horn­brille ge­ra­de et­was über die Aus­stel­lung, dem Fried­rich, wäh­rend er erst­mal guckte, mit einem Ohr zu­hör­te. So, wie bei Der­ri­da je­des Kunst­werk auf ein Nicht­dar­ge­stell­tes ver­weist, funk­tio­niert die von Gregor Russ im­mer wie­der zum Mo­tiv er­ho­be­ne Ne­ga­tiv­form sei­ner Cut-Outs und die fi­gu­ra­ti­ve Am­bi­va­lenz sei­ner Bri­co­lage als ein Schlüs­sel zu et­was In­kom­men­su­rab­lem. Als ers­tes fiel ihm ein hubba-bubba-farbenes und, man kon­nte es nicht an­ders sa­gen, klöten­ar­ti­ges Ge­bil­de auf, wel­ches nebst ei­ni­ger nicht ein­deu­tig be­stimm­ba­rer Ob­jek­te auf ei­ner der hier zu be­sich­ti­gen­den Lein­wände prang­te. Nach­dem er ein Glas Weiß­wein von ei­nem auf ei­nem Tisch­chen ab­ge­stell­ten Tab­lett ge­nom­men hat­te, ging er nä­her ran und stell­te, wäh­rend hin­ter ihm wei­ter Wor­te an­ei­nan­der­ge­reiht wur­den, fest, dass die Mo­ti­ve nicht auf­ge­malt, son­dern be­händ aus mo­no­chro­men Fo­lien aus­ge­schnit­ten wor­den wa­ren. Die Der­rida’sche De­zen­trie­rung des Zei­chen­be­griffs hat so ei­ne Ent­her­me­neu­ti­sie­rung der Zei­chen­the­o­rie zur Fol­ge, die den Zei­chen­be­griff bzw. den Vor­gang der Se­mi­o­se so­zu­sa­gen ky­ber­ne­ti­siert.1 Auch hat­te man den in lecke­ren Far­ben wie wald­meis­ter­grün, gre­na­dine­rot und oran­gi­na­gelb ge­hal­te­nen, bar­ba­papa-dada­es­ken Fi­gu­ren hier und da ad­ret­te Bär­tchen auf­ge­pappt, was sie wie eine Schar quietsch­fi­deler Bohos da­her­kom­men ließ. Er stell­te sich zu der Trau­be von Zu­hö­rern, von wo aus ein Stuhl aus neon­pin­kem Plexi­glas zu se­hen war, der mit weit nach vorne ge­bo­gener Lehne eben­so hoch­kon­zen­triert zu lau­schen schien.

Gregor Russ: The Taming of Hyperbolic Style, 2020, Acryl und Mischtechnik auf Leinwand, mit Rahmen 196 x 165 x 5 cm, Courtesy SAUVAGE und der Künstler, Foto: Gregor Russ

Nicht zu­letzt führt die Ab­spren­gung dis­kur­si­ver Ein­klam­mer­un­gen dazu, dass wir uns un­ver­se­hens in einem kon­sti­tu­tiven Wech­sel­ver­hält­nis zu dem wie­der­fin­den, was sich inner­halb der ky­ber­ne­ti­schen, hier von Gre­gor Russ ab­ge­leg­ten Geständ­nisse of­fen­bart. Er be­sah sich die An­we­sen­den und über­leg­te, bei wem von ihnen es sich um den Küns­tler han­deln mochte. Dann sah Frie­drich dem Red­ner ins Ge­sicht und stell­te fest, dass des­sen Augen wie die ro­tie­ren­de An­zeige eines Spiel­au­to­mats schnell hin­ter­ei­nan­der die Far­ben wech­sel­ten. Seine Stimme bekam jetzt einen fremd­ar­ti­gen Klang, so wie eine ble­cher­ne Bahn­hofs­durch­sage. Als der Text been­det war, kam au­gen­blick­lich Leben in die Bude. Ein Mann mit grauem Anzug und zwei über­ei­nan­der an­ge­ord­ne­ten Augen­paaren stol­zier­te Stech­schritt-Kapri­olen schla­gend im Kreis und krächz­te Derri­daaaa Derri­daaaa. Die ande­ren tra­ten ein Stück zu­rück und wa­ren ganz bei ihm. Es hatte eine un­glaub­li­che Kraft. Die weißen Wände wur­den wab­be­lig, wäh­rend auch die Luft eine fett­glän­zen­de Kon­sis­tenz an­nahm. Fried­rich merkte, dass sein Gehirn nach unten wan­der­te, und dass er nun­mehr nicht mit dem Knie, aber immer­hin mit dem Genick zu den­ken begann, was fürs Erste nicht min­der ge­wöh­nungs­be­dürf­tig war. JEDER RUSS EIN SCHUSS ent­fuhr es einer vor Er­grif­fen­heit nicht mehr an sich hal­ten­den Dame in eng an­lie­gen­dem Sei­den­kleid, die mit aus­ge­brei­te­ten Armen vor einer Reihe von Expo­naten stand. In der Mitte des Raums zeich­ne­te sich ein Knoten aus purpur pul­sie­ren­dem Licht ab. Der von al­len gleich­zei­tig ge­dach­te Ge­danke war so dicht, so strin­gent, dass er sich außer­halb ihrer Köpfe selbst dachte und ein ein­ma­li­ges Spek­takel bot.

Ausstellungsansicht, Courtesy SAUVAGE und der Künstler, Foto: Gregor Russ

Während das Aus­stel­lungs­ge­bäu­de wie ein Scho­ko­la­den­haus un­term Heiz­strah­ler da­hin­schmolz, dräng­te es nun alle hi­naus, um das, was drau­ßen an Schön­heit auf sie war­te­te, mit ihren Blicken zu ver­e­deln. Aus­ru­fe des Er­stau­nens wie UH, OH und AH aus­sto­ßend schob sich der Pulk, wel­chem sich auch Frie­drich an­ge­schlos­sen hatte und zu dem noch zahl­rei­che Pas­san­ten hin­zu­stie­ßen, durch die Innen­stadt. Mit­ten auf einer Kreu­zung zupf­te ihn eine Frau am Ärmel und wies mit aus­ge­streck­ter Hand eine Haupt­stra­ße ent­lang, auf der sich eine Herde pech­schwar­zer Ele­fan­ten aus dem As­phalt er­hob und laut­los in Rich­tung Hof­gar­ten mar­schier­te. Auch das war sehr schön. Und jetzt? rief einer von vorne – Erst­mal zu Penny! rief einer von hin­ten zu­rück, wo­rauf­hin sie un­ver­min­dert en­thu­sias­tisch den an der nächs­ten Ecke ge­le­ge­nen Dis­coun­ter an­steu­er­ten. Auch hier gab es rich­tig viel zu gucken. Ein Mann und eine Frau, die nicht auf­hö­ren konn­ten zu lachen, über­gos­sen sich mit einer Fla­sche Eier­likör und schüt­te­ten sich da­rauf­hin bun­te Früh­stücks­flocken über den Kopf. Mit Pal­mo­live und rot­blau ge­streif­ter Zahn­pas­ta fer­tig­te je­mand auf den glä­ser­nen Schie­be­deckeln der Kühl­tru­hen ein ab­strak­tes Ge­mäl­de an, durch wel­ches hin­durch grün­schim­mern­de Tief­kühl­gän­se zu sehen waren. Wenig wei­ter war ein mit Salz­stan­gen ge­spick­ter und mit Ha­ri­bo über­säter Berg aus Ra­sier­schaum ent­stan­den. Nach und nach kamen von drau­ßen im­mer mehr Leu­te rein, um sich am kleb­ri­gen Mit­ei­nan­der zu be­tei­li­gen, so dass sich die Fül­le al­ler aus den Re­ga­len und Ver­packun­gen ge­ris­se­nen Pro­duk­te zu ei­nem sich all­mäh­lich in den Gän­gen aus­brei­ten­den Schwall ver­meng­te. Genau so hatte alles zu sein. Die Neon­röh­ren an der Decke be­gan­nen nun immer lauter zu sirren und immer heller zu leuch­ten bis man vor lauter Hel­lig­keit nichts mehr sah und al­les in glei­ßen­dem Licht ver­glüh­te.

ENDE

Gregor Russ:
AS IF!

21. Januar – 12. März 2022

SAUVAGE
Bastionstraße 5
40213 Düsseldorf

Öffnungszeiten:

Samstag 11 – 15 Uhr
und nach individueller Vereinbarung

Fußnoten

  1. Markus Rautzenberg: Zeichen/Präsenz. Zu einer vermeintlichen Dichotomie. In: Helga Lutz, Jan-Friedrich Missfelder, Tilo Renz (Hg.): Äpfel und Birnen. Illegitimes Vergleichen in den Kulturwissenschaften. Bielefeld 2006, S. 151.

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