Florian Kuhlmann, Gretta Louw, Sebastian Schmieg: AUTOMATIC DREAMS

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Florian Kuhlmann: Rational thinking is boring, 2021, Courtesy Galerie Wundersee und der Künstler, Foto: Andreas Wundersee

OK Computer – Florian Kuhlmann,
Gretta Louw, Sebastian Schmieg:
AUTOMATIC DREAMS, Galerie Wundersee

LOAD“*“,8,1 lau­te­te der ers­te und für lan­ge Zeit ein­zi­ge Ein­ga­be­be­fehl, den ich an ei­ner Com­pu­ter­tas­ta­tur ge­tä­tigt ha­be, um an ei­nem nicht zu­letzt zu Lern­zwecken er­hal­te­nen und fort­an de­zi­diert zu Nicht­lern­zwecken ein­ge­setz­ten C64 Spie­le wie bei­spiels­wei­se Gaunt­let oder Great Gia­na Sis­ters ans Lau­fen zu brin­gen und un­ter re­gel­mäßi­ger Ver­nach­lässi­gung mei­ner Haus­auf­ga­ben den Nach­mit­tag zu ver­tun, wo­bei das en­thu­sias­ti­sche Joy­stick-Ge­rüt­tel im­mer und ent­schei­dend durch den äs­the­ti­schen Reiz des syn­chron in brö­se­li­ger 8-Bit-Grafik statt­fin­den­den Bild­schirm­ge­sche­hens mo­ti­viert wur­de. Legt man die be­ein­drucken­de Ge­schwin­dig­keit, mit der sich die Qua­li­tät von IT-Pro­duk­ten seit­dem ver­bes­sert hat, als In­di­ka­tor für all­ge­mei­nen zi­vi­li­sa­to­ri­schen Fort­schritt zu­grun­de, glaubt man, an ei­nem sig­ni­fi­kan­ten Evo­lu­tions­vor­gang par­ti­zi­piert zu ha­ben, wo­bei sich ge­ra­de im Hin­blick auf die­sen Be­reich be­son­ders dif­fe­ren­zier­te zeit­ko­lo­ris­ti­sche Nu­an­cen he­raus­ar­bei­ten las­sen. Un­ab­hän­gig da­von, ob man die An­mu­tung di­gi­tal er­zeug­ter Me­dien­inhalte, schnell­le­bi­ge Spiel­ar­ten des In­dus­trie­de­signs oder wei­te­re da­mit ein­her­ge­hen­de Äußer­lich­kei­ten zum Ge­gen­stand ei­ner dies­be­züg­li­chen Rück­schau macht, schei­nen sich mo­der­nis­ti­sche Ge­stal­tungs­wei­sen jüngst ver­gan­ge­ner Epo­chen­ab­schnit­te als for­men­sprach­li­che Stil­blü­ten mit ge­rin­ger Halb­werts­zeit he­raus­zu­stel­len, an­hand de­rer An­ge­hö­ri­ge der Ge­ne­ra­tio­nen X, Y und dem­nächst vo­raus­sicht­lich auch Z be­reits in noch jun­gen Jah­ren ih­re ei­ge­ne His­to­ri­sie­rung im Zu­ge pünkt­lich auf­ei­nan­der­fol­gen­der Retro-Zyklen mit­er­le­ben dürfen.

Auch wenn sich die­ses Wech­sel­spiel aus in­no­va­ti­vem Fu­ror und bis­wei­len iro­nisch ge­bro­che­ner Re­mi­nis­zenz be­lie­big oft wie­der­ho­len könn­te, zeich­net sich, ins­be­son­de­re für je­ne, de­nen das nicht ganz neu sein mag, ein ge­wis­ser Sät­ti­gungs­ef­fekt ab: Ei­ner­seits schei­nen, wie bei­spiels­wei­se bei der Auf­lö­sung von Di­gi­tal­ka­me­ras, die Gren­zen sen­so­risch wahr­nehm­ba­rer Op­ti­mier­bar­keit all­mäh­lich aus­ge­reizt, an­de­rer­seits ist die hier zu­grun­de ge­leg­te Les­art ei­nes et­wa­i­gen Fort­schritts­nar­ra­tivs ei­ne et­was ober­fläch­li­che. Ko­in­zi­dent zu ei­nem kol­lek­ti­ven Auf­mer­ken, wel­ches sich in An­be­tracht ei­ner un­gut zu­ta­ge tre­ten­den Al­ter­na­tiv­lo­sig­keit zwi­schen uto­pi­schen und dys­to­pi­schen Zu­kunfts­aus­sich­ten voll­zieht, rich­tet sich ei­ne seit ei­ni­ger Zeit zu­neh­men­de Auf­merk­sam­keit auf tie­fer­lie­gen­de so­zio­kul­tu­rel­le Im­pli­ka­tio­nen, die ein­ge­denk ei­nes Um­gangs mit den längst om­ni­prä­sen­ten Tech­no­lo­gien ei­nen rich­tungs­wei­sen­den Aus­schlag ge­ben könn­ten. Pa­ra­dig­ma­tisch vo­ran­stel­len ließe sich zu­nächst die Fest­stel­lung, dass die his­to­ri­sche Gleich­zei­tig­keit von Di­gi­ta­li­sie­rung und Markt­ra­di­ka­lis­mus ei­nen glo­ba­li­sier­ten Mo­no­pol­ka­pi­ta­lis­mus be­för­dert, wel­cher spä­tes­tens mit dem pan­de­mie­be­ding­ten Struk­tur­wan­del For­men neu an­bre­chen­der Herr­schafts­ver­hält­nis­se an­ge­nom­men und schluss­end­lich auch ei­ne wei­te­re De­re­gu­lie­rung des Kunst­markts her­bei­ge­führt hat.

Florian Kuhlmann: Only the bots know the truth, 100 x 70cm, Courtesy Galerie Wundersee und der Künstler, Foto: Andreas Wundersee

Be­güns­tigt durch ei­nen ins Stocken ge­ra­te­nen Per­so­nen- und Wa­ren­ver­kehr und dessen emp­find­li­che Aus­wir­kun­gen auf den kon­ven­tio­nel­len Kunst­be­trieb, hat so auch die bis­lang öf­fent­lich we­nig be­ach­te­te Werk­gat­tung kryp­to­gra­phisch ge­ne­rier­ter Ar­te­fak­te ei­nen un­ge­zü­gel­ten Po­pu­la­ri­täts­schub er­fah­ren. Mit­i­ni­ti­iert durch me­dia­le Re­zep­tion wie je­ne be­zügl­ich ei­nes vor­mals weit­ge­hend un­be­kann­ten Küns­tlers, wel­cher sich mit dem Ver­kauf ei­nes NFTs in die höchs­ten Re­gio­nen ak­tu­el­ler Ran­kings ka­ta­pul­tiert hat, sind un­ter­des­sen Ver­hält­nis­se ent­stan­den, an­ge­sichts de­rer kunst­so­zio­lo­gi­sche und -di­dak­ti­sche Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten grund­le­gend in­fra­ge ge­stellt sind. Ne­ben der Fest­stel­lung, dass in­ner­halb ei­nes so neu ent­stan­de­nen Ge­schäfts­felds die Her­vor­brin­gun­gen be­rühm­ter Küns­tler­*in­nen in den glei­chen preis­li­chen Größen­ord­nun­gen wie je­ne kunst­fern so­zia­li­sier­ter Ur­he­ber ge­han­delt wer­den und ge­wohn­te Dis­tink­tions­kri­te­rien zwi­schen U- und E-Kultur nicht län­ger maß­geb­lich er­schei­nen, drängt sich hier die Ü­ber­le­gung auf, in­wie­fern der die­sen Wer­ken in­hä­ren­te Uni­kat­wert bei­spiels­wei­se mit je­nem ei­nes Ge­mäl­des oder ei­ner Plas­tik gleich­zu­set­zen und in­wie­fern es dem­nach zu­läs­sig sei, NFTs den Rang ei­ner voll­wer­ti­gen Kunst­gat­tung bei­zu­mes­sen.

Un­ge­ach­tet des­sen, dass Kunst­wer­ken oh­ne­hin kaum et­was Bes­se­res pas­sie­ren kann, als ei­ne flä­chen­decken­de Kon­tro­ver­se um ih­re küns­tle­ri­sche Be­rech­ti­gung aus­zu­lö­sen und ver­gleich­ba­re Dis­kus­sio­nen hin­sicht­lich des ge­ne­rel­len Stel­len­werts von Com­pu­ter­kunst in et­wa so alt sind wie die ein­gangs er­wähn­ten Un­ter­hal­tungs­er­zeug­nis­se, bleibt da­hin­ge­stellt, ob die­se Fra­ge sinn­voll mit ja oder nein be­ant­wor­tet wer­den kann. In­te­res­san­ter könn­te es hin­ge­gen sein, die neu ent­stan­de­ne Kons­tel­la­tion mit­ei­nan­der kon­kur­rie­ren­der Kul­tur­tech­ni­ken und -dis­zi­pli­nen mit etwas Ab­stand zu be­trach­ten und ein­mal zu gucken, ob in die­se Richt­ung schon et­was Klu­ges, bes­ten­falls über den zeit­ge­schicht­li­chen Tel­ler­rand Hi­naus­wei­sen­des ge­sagt wor­den ist. Ei­nen wei­ten kul­tur­his­to­ri­schen Bo­gen schlägt un­ter die­sen Ge­sichts­punk­ten der bis vor Kur­zem als Rek­tor der Köl­ner Kunst­hoch­schu­le für Me­dien tä­ti­ge Kunst­his­to­ri­ker und Phi­lo­soph Hans Ul­rich Reck, wel­cher in ei­nem 2007 pub­li­zier­ten Es­say ei­nen Zu­sam­men­hang zum Re­nais­sance-To­pos ei­nes Hie­rar­chie­streits un­ter den klas­si­schen Kunst­gat­tun­gen her­stellt und da­bei zu dem Schluss ge­langt, dass eine wis­sen­schaft­li­che Ein­ord­nung mittels neu­er Me­dien ent­ste­hen­der Kunst ge­ra­de nicht nach tra­dier­ten Maß­ga­ben funk­tio­nie­re.1 Der Grund da­für, wa­rum das an die­ser Stel­le he­ran­ge­zo­ge­ne Ver­gleichs­sche­ma zu kurz grei­fe, be­ste­he dem­nach da­rin, dass ein elek­tro­mag­ne­tisch auf­ge­zeich­ne­tes Bild kein Ob­jekt, son­dern le­dig­lich die ob­jekt­haf­te An­mu­tungs­wei­se ei­nes bis auf Wei­te­res fort­dau­ern­den und da­bei nicht un­ver­än­der­li­chen Vor­gangs sei. Fol­ge­rich­tig sei ein an­ge­mes­se­ner äs­the­ti­scher Um­gang mit da­raus re­sul­tie­ren­den Mög­lich­kei­ten nicht we­ni­ger an der vor­der­grün­di­gen Aus­ge­stal­tung des durch die­se Vor­gän­ge an die Ober­flä­che Ge­brach­ten, als an kon­zep­tu­el­len Qua­li­tä­ten fest­zu­ma­chen, die sich in der in­di­vi­du­el­len Zu­nut­ze­ma­chung ent­spre­chen­der Ab­läu­fe of­fen­ba­re.

Gretta Louw: Speculations on the Cloud 1, 2017, Digitalcollage auf Acrylstoff und Alurahmen, 118 x 75cm, Courtesy Galerie Wundersee und die Künstlerin, Foto: Andreas Wundersee

Über die da­mit an­ge­sto­ße­nen Re­chen­o­pe­ra­tio­nen hi­naus geht je­de In­ter­ak­tion mit di­gi­ta­len Ge­rä­ten mit kul­tu­rel­len, wirt­schaft­li­chen oder po­li­ti­schen Pro­zes­sen ein­her, wes­halb es na­he­liegt, den per­sön­li­chen Fo­kus bei der suk­zes­si­ven Aus­schöp­fung tech­no­lo­gi­scher Po­ten­tia­le auf die dies­be­züg­li­che Wahr­neh­mung res­pek­ti­ve der sich da­raus er­ge­ben­den Denk- und Ver­hal­tens­op­tio­nen zu rich­ten. Da­von, wie so et­was in Zei­ten ei­ner von Sprach­as­sis­tenz­sys­te­men, in­tel­li­gen­ten Haus­halts­ge­rä­ten und eigens zu­ge­schnit­te­nen Fil­ter­bla­sen usur­pier­ten All­tags­rou­ti­ne aus­se­hen kann, lässt sich sich die­ser Ta­ge in der kürz­lich am Für­sten­wall er­öff­ne­ten Galerie Wundersee ein viel­ge­stal­ti­ger Ein­druck ver­schaf­fen; viel­ge­stal­tig zu­nächst in­so­fern, als dass sich hier, ge­nau­er ge­sagt in den ehe­ma­li­gen Räum­lich­kei­ten ei­ner al­ten Apo­the­ke, mit Wer­ken von Flo­rian Kuhl­mann, Gretta Louw und Se­bas­tian Schmieg drei Po­si­tio­nen ge­gen­ü­ber­ge­stellt fin­den, die sich mit der­lei pro­gram­ma­ti­schen As­pek­ten viel­fäl­tig in Ein­klang brin­gen las­sen. Um ei­nen in Düs­sel­dorf gut be­kann­ten Spe­zia­lis­ten für die hier be­han­del­ten Sach­ver­hal­te han­delt es sich bei Flo­rian Kuhl­mann, des­sen küns­tle­ri­sche Ar­beit dicht mit pub­li­zis­ti­schen und ku­ra­to­ri­schen Tä­tig­kei­ten rund um das The­ma ak­tu­el­ler Me­dien­kunst ver­wo­ben ist, und des­sen gleich beim Ein­tre­ten ins Au­ge sprin­gen­de Ins­tal­la­tion auf An­hieb an haus­be­set­zer­haf­te For­men der Wand­ver­schö­ne­rung den­ken lässt. Gleich ei­ner re­vo­lu­tio­nä­ren Pa­ro­le tut ein an die­ser Stel­le mit un­ge­stü­mem Ges­tus auf­ge­mal­ter Schrift­zug die Ab­leh­nung ra­tio­na­ler Denk­wei­sen kund, wel­che sich in­halt­lich nicht ein­deu­tig mit den Mo­ti­ven au­gen­schein­lich wild auf­pla­ka­tier­ter Ab­bil­dun­gen über­eins brin­gen lässt. Ohne sich dies­be­züg­lich auf ei­ne fixe Aus­le­gung fest­le­gen zu las­sen, evo­ziert das bri­co­lage-ar­ti­ge Zu­sam­men­spiel mit den nach Art di­gi­ta­len Found-Footage-Ma­ter­ials ver­wen­de­ten Mo­ti­ven ei­ner Fi­bo­nacci-Kurve und ei­ner Welt­raum­te­les­kop-Auf­nah­me nebst er­ra­tisch wir­ken­der No­ti­zen die Vor­stel­lung ei­nes tur­bu­len­ten Ge­dan­ken­stroms, zu wel­chem es auch an­läss­lich ab­sei­tig-aus­u­fern­der Netz­re­cher­chen kom­men kann.

In ähn­lich spie­le­ri­scher Wei­se wie Flo­rian Kuhl­mann die Am­bi­va­lenz des In­ter­nets als groß­ar­ti­gen Ort der Wis­sens­ver­net­zung und Kampf­platz sich selbst af­fir­mie­ren­der Pri­vat­welt­an­schau­un­gen vor Au­gen führt, nimmt er an­hand bis­wei­len ver­trau­ter Mo­ti­ve ir­ri­ta­ti­ve Mo­men­te im wech­sel­sei­ti­gen Mit­ei­nan­der men­schli­cher und künst­li­cher In­tel­li­genz in den Blick. Al­len vo­ran hat Karl Klam­mer, wel­cher ei­ni­gen äl­te­ren Win­dows-Usern noch als in frü­he­ren Ver­sio­nen auf­tauch­en­des Hel­fer­lein in Erin­ne­rung ge­blie­ben sein dür­fte, in ei­nem über­dies zu be­sich­ti­gen­den Bild Zwei­fel an­zu­mel­den, ob das in die Pers­pek­ti­ve ei­ner am Rech­ner sit­zen­den Per­son ver­setz­te Ge­gen­ü­ber tat­säch­lich exis­tie­re, und ob so­mit auch die ka­te­go­ri­sche Sub­jekt-Ob­jekt-Re­la­tion zwi­schen Mensch und Com­pu­ter nicht noch­mal zu über­den­ken sei. Ei­ner Va­ri­an­te des vi­su­el­len Samp­lings ent­sprech­end funk­tio­niert die ver­schie­dent­lich von die­sem Küns­tler her­vor­ge­brach­te Kom­bi­na­tion aus graf­fi­ti­ar­ti­ger Tag­line und der im Kon­text di­gi­ta­ler Me­dien ge­bräuch­li­chen Em­ble­ma­tik als ei­ne mit ein­fa­cher Ges­te ver­mit­tel­te Er­öff­nung un­ge­wohn­ter Sicht­wei­sen. Die al­le­go­ri­sche Gleich­set­zung des In­ter­nets mit ei­nem ge­mein­sam durch­leb­ten Traum, wel­che sich in ei­nem sei­ner wei­te­ren Wer­ke fin­det, lässt so gleich­sam of­fen, in­wie­weit die hier her­ge­stell­te Ana­lo­gie be­züg­lich vir­tu­el­ler und un­ter­be­wus­ster Sphä­re ein­ge­denk eher po­si­ti­ver oder ne­ga­ti­ver Vor­stel­lun­gen zu deu­ten sei.

Gretta Louw: They Learn Like Small Children, 2019, Digitale Stickerei und Digitalprint auf Leinen, 185 x 132 cm, Courtesy Galerie Wundersee und die Künstlerin, Foto: Andreas Wundersee

Gleich­wohl es for­mal kei­ne Über­ein­stim­mung gibt, zeigt sich in der Ten­denz, die hier er­kun­de­ten Phä­no­me­ne mit ei­nem ge­wis­sen Mys­te­ri­um auf­zu­la­den, ei­ne sig­ni­fi­kan­te Pa­ral­le­le zu je­ner Art der per­zep­ti­ven An­nä­he­rung, wie sie wie­de­rum in den Dar­stel­lun­gen Gret­ta Louws zum Vor­schein kommt. Pas­send zu ei­nem reich­hal­ti­gen bi­o­gra­phi­schen Wer­de­gang, wel­cher die in Süd­af­ri­ka auf­ge­wach­se­ne Künst­le­rin, Ku­ra­to­rin und Au­to­rin nach di­ver­sen in­ter­na­tio­na­len Sta­tio­nen schließ­lich nach Deutsch­land ge­führt hat, tut sich in Sel­bi­gen so­wohl ei­ne mo­ti­vi­sche Fül­le wie auch ein wei­tes Spek­trum ge­dank­li­cher Prä­mis­sen auf. Die be­griff­lich be­reits ins Spiel ge­brach­te Traum­me­ta­pher fin­det da­bei ei­ne vi­su­el­le Ent­spre­chung in ei­ner sich vor dem Hin­ter­grund ar­ti­fi­ziel­ler Wol­ken­land­schaf­ten tum­mel­nden Qual­len­po­pu­la­tion, an­hand de­rer sich die von der Küns­tle­rin er­klär­te Ab­sicht, tech­no­i­de und or­ga­ni­sche Struk­tu­ren zum Ge­gen­stand ei­ner ganz­heit­li­chen Be­trach­tung zu ma­chen, auch hin­sicht­lich hier­bei an­klin­gen­der phi­lo­so­phi­scher Ideen ver­deut­li­chen lässt; ähn­lich wie aus men­schen­ge­mach­ten Schalt­krei­sen ei­ne neue und ih­rem in­ners­ten We­sen nach nicht gänz­lich er­gründ­ba­re In­tel­li­genz­form er­wächst, be­geg­net uns in dem licht­durch­läs­si­gen Mee­res­or­ga­nis­mus ein bei al­ler ra­tio­na­len Er­fass­bar­keit nicht min­der rät­sel­haf­tes In­di­vi­duum.

Eine sym­bo­lis­ti­sche Bild­spra­che bei­be­hal­tend las­sen ei­ni­ge ih­rer auf Stoff app­li­zier­ten Di­gi­prints far­big-mä­an­dern­de Sticke­rei­en er­ken­nen, wel­che zum Ei­nen die Ähn­lich­keit bi­o­lo­gisch und zi­vi­li­sa­to­risch be­ding­ter Netz­ge­bil­de sinn­fäl­lig ma­chen und zum An­de­ren kul­tur­his­to­ri­sche Re­fe­ren­zen zu den in der Tex­til­in­dus­trie ver­or­te­ten Ur­sprün­gen heu­ti­ger Pro­gram­mier­spra­chen auf­zei­gen. Der bis da­hin kul­ti­vier­te Grund­satz, die Kunst als all­seits zu­gäng­li­ches Me­di­um zur Sicht­bar­ma­chung wis­sens­ü­ber­grei­fen­der Ge­samt­zu­sam­men­hän­ge ein­zu­brin­gen, of­fen­bart sich, dies­mal un­ter de­zi­diert so­zio­lo­gi­schen Maß­ga­ben, auch in­ner­halb ei­nes groß­for­ma­ti­gen Bil­des, wel­ches un­ter Ver­wen­dung ei­ner KI ent­stan­den ist. Zei­chen­haf­te Fi­gu­ra­tio­nen, die sich hie­rin aus­ma­chen las­sen, stam­men aus ei­ner Zeich­nung von Gretta Louws fünf­jäh­ri­gen Sohn, wel­che die Küns­tle­rin durch ei­ne sich selbst­stän­dig wei­ter­ent­wickeln­de Soft­ware hat be­ar­bei­ten las­sen. Wie es der Ti­tel „They learn like small Chil­dren“ be­reits zum Aus­druck bringt, liegt es nahe, die di­dak­ti­schen Fort­schrit­te beim He­ran­wach­sen ei­nes Kin­des mit je­nen ei­nes al­go­rith­misch de­ter­mi­nier­ten Pro­gramms in Re­la­tion zu set­zen, und sich zu­gleich der Fra­ge zu­zu­wen­den, in­wie­weit sich die dy­na­mi­sche Ent­wicklung der KI ge­mäß ei­ner pä­da­go­gi­schen So­zia­li­sa­tion in ei­ne men­schen­ge­rech­te Rich­tung brin­gen ließe.

Sebastian Schmieg: How To Give Your Best Self Some Rest, 2021, Video-Loop, 4min 35sek, Courtesy Galerie Wundersee und der Künstler, Foto: Andreas Wundersee

Be­züg­lich des An­lie­gens, den in im­mer hö­he­rem Ma­ße per­so­na­le Zü­ge an­neh­men­den Ma­schi­nen ei­nen hu­ma­nis­tisch ge­färb­ten Blick ent­ge­gen­zu­brin­gen, weist Gretta Louws He­ran­ge­hens­wei­se ei­ne Nä­he zu der­je­ni­gen Se­bas­tian Schmiegs auf, wenn­gleich auch bei ihm ei­ne un­ter­schwel­li­ge La­ko­nie mit­schwingt. Glei­cher­ma­ßen könn­te man auch von ei­nem Re­a­li­täts­check spre­chen, wenn der in Ber­lin und Dres­den an­säs­si­ge Künst­ler und Au­tor un­ter an­de­rem am Bei­spiel ei­nes Staub­sau­ger­ro­bo­ters he­raus­stellt, dass es mit den von ent­sprech­en­den Apo­lo­ge­ten pro­pa­gier­ten Ide­al­vor­stel­lun­gen ei­ner voll­ends durch­di­gi­ta­li­sier­ten Le­bens­welt bis­lang nicht weit her sei. So oder ähn­lich könn­te zu­min­dest ei­ne zen­tra­le Kon­klu­sion aus ei­ner of­fen­sicht­lich nicht ganz hu­mor­fei in­ten­dier­ten Vi­de­o­ar­beit lau­ten, in wel­cher di­ver­se KI-ge­steu­er­te Ge­rä­te mit schlicht ani­mier­ten Co­mic­ge­sich­tern un­kon­ven­tio­nel­le Coa­ching­tipps für ein bes­se­res Le­ben be­reit­hal­ten. Ent­ge­gen et­wa­i­ger Selbst­op­ti­mie­rungs­stra­te­gien, an wel­che da­hin­ge­hend zu­ge­schnit­te­ne Rat­ge­ber ger­ne ih­re Glücks­ver­spre­chen knüp­fen, eig­nen sich die hier aus­ge­ge­be­nen De­vi­sen al­ler­dings um­so we­ni­ger als da­hin­ge­hen­de Mo­ti­va­tions­hi­lfe, son­dern eher als Auf­for­de­rung, sich mit­hil­fe des hoch­tech­ni­sier­ten Zu­be­hörs zu pro­kras­ti­nö­sen Ge­wohn­hei­ten ver­lei­ten zu lassen.

Ne­ben der bei­läu­fig in­si­nu­ier­ten Tat­sa­che, dass sich die im Rah­men kur­zer Se­quen­zen in Sze­ne ge­setz­ten Uten­si­lien in Wirk­lich­keit nur be­dingt als pra­xis­taug­lich er­wei­sen, mischt sich in den da­bei an­ge­schla­ge­nen Grund­te­nor auch ei­ne sach­lich fun­dier­te Kri­tik, wel­che Se­bas­tian Schmieg in ei­nem zu die­sem An­lass pub­li­zier­ten Es­say wei­ter aus­führt.2 Vor dem Hin­ter­grund der hier ent­hal­te­nen Aus­künf­te, wo­nach die der­lei Ap­pa­ra­tu­ren in­hä­ren­ten Funk­tio­nen grund­sätz­lich auf end­lo­sen und zu­meist in pre­kä­ren Ar­beits­ver­hält­nis­sen vor­ge­nom­me­nen Tracking­a­na­ly­sen ba­sie­ren, wer­den da­bei auch dies­be­züg­li­che Be­nut­zungs­mo­da­li­tä­ten mit ei­ner in­tel­lek­tu­el­len Ab­stump­fung in Ver­bin­dung ge­bracht. Ei­ne aus­gie­bi­ge Do­ku­men­ta­tion des­sen, was den Küns­tler an die­ser Stel­le von „müh­sa­mer In­tel­li­genz“ spre­chen lässt, fin­det sich der­weil in ei­nem der Län­ge nach raum­fül­len­den Le­po­rel­lo, in wel­chem er ge­mein­sam mit dem be­freun­de­ten Kol­legen Silvio Lorusso hun­der­te im In­ter­net ge­bräuch­li­che Si­cher­heits­ab­fra­gen per Screen­shot fest­ge­hal­ten und an­ei­nan­der­ge­reiht hat.

Sebastian Schmieg: This is the Problem, the Solution, the Past and the Future, 2017, konzeptioneller Datensatz, Wandtapete, variable Größe, Courtesy Galerie Wundersee und der Künstler, Foto: Andreas Wundersee

Räum­lich se­pa­riert ist ein wei­te­res nicht we­ni­ger um­fang­rei­ches Werk Se­bas­tian Schmiegs zu sehen, wel­ches sich aus 2931 Fo­tos zu­sam­men­setzt und sich in an­de­rer Wei­se mit der Ta­xo­no­mie­rung mensch­li­cher Af­fek­te aus­ei­nan­der­setzt. Ur­sprüng­lich prä­sen­tiert wur­den die hier ver­wen­de­ten Bild­er auf der Web­sei­te der Lon­do­ner Pho­to­gra­pher’s Gal­le­ry, wo die Be­trach­te­rin­nen und Be­trach­ter an­ge­sichts je­des Ein­zel­nen un­ter den Be­grif­fen „Problem“, „Lösung“, „Ver­gan­gen­heit“ und „Zu­kunft“ den­je­ni­gen aus­wäh­len konn­ten, wel­chen sie am Ehe­sten mit dem je­wei­li­gen Mo­tiv as­so­zi­ier­ten. Die re­zep­ti­ve Si­tu­a­tion, wel­che sich nun un­ter Hin­zu­fü­gung der da­bei re­gis­trier­ten Klick­zah­len er­gibt, scheint es ohne Wei­te­res mög­lich zu machen, wie ei­ne KI kol­lek­ti­ve Wahr­neh­mungs­wei­sen zu er­fas­sen und macht zu­gleich das Prob­lem deut­lich, dass ein der­ar­ti­ges Aus­wer­tungs­ver­fah­ren kei­ner­lei Zwi­schen­tö­ne zu­lässt und so auch zu fälsch­li­chen Aus­le­gun­gen füh­ren kann. Bei ei­ner ab­schlie­ßen­den In­spek­tion des ge­sam­ten hier zu­sam­men­ge­tra­ge­nen Pro­gramms bleibt fest­zu­stel­len, dass es ge­nau sol­che Zwi­schen­tö­ne sind, wel­che die drei Küns­tler*in­nen, bei al­ler of­fen­kun­digen Ver­bun­den­heit zu den di­gi­ta­len Me­dien in bild­ne­ri­sche Aus­sa­gen fas­sen. In frei­er An­leh­nung an die vom Bio­lo­gen und Evo­lu­tions­for­scher Edward Osborne Wilson in la­pi­da­ren Wor­ten auf den Punkt ge­brach­te Er­kennt­nis, dass sich die Mensch­heit im ge­gen­wär­ti­gen Sta­dium als ei­ne Ge­mein­schaft von In­di­vi­du­en mit „stein­zeit­li­chen Emo­tio­nen, mittel­al­ter­li­chen Ins­ti­tu­tio­nen und gott­glei­cher Tech­no­lo­gie“ dar­stellt, lie­ße sich ei­ne der Ge­samt­heit des hier Ge­zeig­ten nach um­ris­sene Frage­stel­lung mit der Über­le­gung über­ein­brin­gen, wie sich ei­ne An­glei­chung die­ser an­thro­po­lo­gi­schen Kons­tan­ten vor­zu­stel­len sei.

Den ein oder an­de­ren An­halts­punkt für eine da­rauf lau­ten­de Ant­wort gibt die Aus­stel­lung di­rekt selbst, wo­bei es zu­nächst vo­ran­zu­stel­len gilt, dass sich Flo­ri­an Kuhl­mann, Gret­ta Louw und Se­bas­tian Schmieg hier nicht als strah­len­de Weg­be­rei­ter ei­ner neu­en Kul­tur­e­po­che ge­rie­ren, son­dern sich mit ei­ner neu­gie­rig-hin­ter­fra­gen­den und in un­ter­schied­li­che Rich­tun­gen spe­zi­fi­zier­ten Hal­tung an die Sei­te ei­ner nicht un­kri­ti­schen Öf­fent­lich­keit stel­len. Mit­hin ver­mit­telt sich über die di­ver­si­tä­re An­mu­tung des hier Dar­ge­bo­te­nen eine Ah­nung, dass das ge­samt­ge­sell­schaft­li­che Vor­ha­ben ei­ner bis in die letz­ten Le­bens­be­rei­che vor­drin­gen­den Di­gi­ta­li­sie­rung nur un­ter plu­ra­lis­ti­schen Maß­ga­ben po­si­ti­ve For­men an­neh­men dür­fte, und dass das Gan­ze ein­ge­denk sol­cher so­gar Spaß ma­chen könn­te. Un­ter ähn­li­chen Vor­zei­chen ge­hen die hier zu­sam­men­ge­kom­me­nen Pro­ta­go­nist*in­nen auch das von vie­len nicht oh­ne Arg­wohn be­äug­te The­ma NFTs an, was, wie ge­nau wird noch nicht verraten, im Rah­men ei­ner un­ter ak­ti­ver Ein­be­zie­hung der ste­tig wach­sen­den Be­su­cher­schaft ge­plan­ten Ak­tion am 12. Feb­ruar statt­fin­den soll. Kunst­guckerinnen und -gucker, die dies noch nicht ge­tan ha­ben, soll­ten sich dies zum An­lass neh­men, selbst zu schau­en, was aus der al­ten Apo­the­ke ge­wor­den ist und sich an­ge­sichts des hier Be­spro­che­nen wie­de­rum ih­ren ei­ge­nen Ein­drücken hin­ge­ben, was nicht be­deu­tet, dass man sich nicht wei­ter­hin mit­tels re­gel­mäßig auf­pop­pen­der Re­tro­spek­ta­kel wie Stranger Things oder The Billion Dollar Code in brö­se­li­ge Zei­ten zurück­beamen las­sen kann.

Florian Kuhlmann, Gretta Louw, Sebastian Schmieg:
AUTOMATIC DREAMS

3. Dezember 2021 – 26 Februar 2022

GALERIE WUNDERSEE
Fürstenwall 124
40217 Düsseldorf
www.galerie.wundersee.com

Öffnungszeiten:

Mittwoch bis Freitag von 12 bis 18 Uhr
Samstag von 12 bis 16 Uhr

Fußnoten

  1. Vgl. Hans Ulrich Reck: Der Streit der Kunst­gat­tungen im Kon­text der Ent­wicklung neu­er Me­dien­tech­no­lo­gien, in ders.:Das Bild zeigt das Bild sel­ber als Ab­we­sen­des, Wien 2007, S. 11 ff.. On­li­ne nach­les­bar un­ter den E-Publikationen der KHM
  2. Sebastian Schmieg: Ist es an der Zeit, dass wir es „müh­sa­me In­tel­li­genz“ nennen?, Vor­trag im Rah­men des vom Goethe-Insti­tut ini­tiier­ten inter­dis­zi­pli­nä­ren For­schungs­pro­jekts Kultur­techniken 4.0, Oktober 2020

2 Kommentare

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