Ausstellungsansicht – Mark Alexander, Courtesy SAUVAGE & der Künstler
A Renaissance Person is
Something to be – Mark Alexander:
Love Between The Atoms, Sauvage
Wer sich gerne mit Biographien berühmter Leute befasst und dabei Fotos oder sonstige Bilddokumente aus deren Kindheit betrachtet, wird vermutlich festgestellt haben, dass einem Selbige, eingedenk der späteren, damals noch nicht feststehenden Lebenswege, in einem Lichte schicksalhafter Vorherbestimmtheit erscheinen. Je nachdem, wie turbulent und problematisch sich die Sozialisationen jeweiliger Personen gestaltet und wie unverhofft diese schließlich zu einer denkwürdigen Selbstverwirklichung geführt haben, eignen sich entsprechende Erzählungen als literarischer Stoff, welcher es bisweilen mit großen Abenteuerepen aufnehmen kann. So wie das menschliche Dasein wird auch kulturelle Praxis unweigerlich durch ein Zusammenspiel historischer Hintergrundfaktoren determiniert, weshalb auch Geschichten von Künstlerinnen oder Künstlern, die in bewegten Zeiten gelebt haben, einiges an ergreifenden Wendungen bereithalten. Die besten und zugleich am frühesten zu datierenden Beispiele dahingehender Schilderungen finden sich in Giorgio Vasaris mehrbändigem Werk Le Vite, in denen der Architekt und Hofmaler der Medici die Biographien bedeutender italienischer Künstler der Hoch- und Spätgotik, der Renaissance und des Manierismus festgehalten hat.1 Hierbei wendet er sich in einem der letzten Kapitel dem Bildhauer und Goldschmied Benvenuto Cellini zu, dessen Leben im sprichwörtlichen Sinne eine ziemliche Achterbahnfahrt war. Benvenuto, der 1500 geboren wurde und unter anderem mit seiner Perseus-Darstellung eine epochale Statue schuf, stand im Dienste diverser adliger und klerikaler Auftraggeber, wurde in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt und kam mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt, was ihn zum rastlosen Wechsel seiner Aufenthaltsorte innerhalb Italiens und Frankreichs zwang.
Ein solches Leben der Extreme würde sich auch als Vorlage für das sich stetiger Beliebtheit erfreuende Genre des Künstler-Biopics anbieten. Ein vergleichsweise aktualitätsbezogenes und nicht unumstrittenes Werk dieser Machart ist ja vor nicht allzu langer Zeit in Düsseldorf gedreht worden. So werden in Florian Henckels von Donnersmarcks abendfüllender Produktion Werk ohne Autor die von Nazi-Trauma und Republikflucht geprägten Schicksalsjahre des jungen Gerhard Richter zu einem blockbustertauglichen Plot umgedichtet und um ein paar landläufige Klischees über das wilde Künstlerleben angereichert. Derweil verabschiedet sich mit den Angehörigen der an dieser Stelle nostalgisierten Nachkriegsepoche nach und nach eine Generation, die den rauen Wind der Geschichte existentiell zu spüren bekommen und gleichermaßen einen Übergang zu äußerlich konsolidierten Verhältnissen eingeleitet hat. Angesichts einer Gegenwart, in der das „Glatte“, entsprechend einer Überlegung des Philosophen Byung Chul Han, über die ästhetische Wirkung von iPhone-Oberflächen und Jeff-Koons-Plastiken hinaus einen allgemeinen gesellschaftlichen Imperativ widerspiegelt, erscheint der Typ des modernen Vagabunden respektive ihn auszeichnender Unregelmäßigkeiten im Lebenslauf auch im Kunstbetrieb nicht mehr sonderlich zeitgemäß.2 Dies führt in letzter Konsequenz dazu, dass die Kunst unter formalästhetischen Gesichtspunkten zwar keinerlei Restriktionen unterworfen ist, die persönlichen Freiräume ihrer Urheber aber eher geringer werden; Benvenuto beispielsweise wäre schon aufgrund seines quantitativ recht überschaubaren Gesamtwerks kaum dazu gekommen, den heutigen Markt zu bedienen und eine internationale Karriere einzuschlagen.
Ausstellungsansicht – Mark Alexander, Gemäldegalerie Berlin, 2016, Courtesy der Künstler
Die entscheidende Frage, ob man seine künstlerische Arbeitsweise an Maßgaben ökonomischer Rentabilität ausrichten oder im Zweifelsfall einen unverhältnismäßigen Aufwand in Kauf nehmen sollte, um die eigenen Ideen ungeachtet dahingehender Erwägungen in die Realität umzusetzen, hat auch den britischen Maler Mark Alexander beschäftigt, als er in Begriff war, sein Studium an der Ruskin School of Art abzuschließen. In einem Gespräch, welches er Jahre später mit seinem damaligen Lehrer Humphrey Ocean für die BBC geführt hat, erinnern sich beide daran, dass es sich Alexander zu dieser Zeit zum Ziel gesetzt hatte, das großartigste Gemälde der Welt anzufertigen, was sich vor dem Hintergrund der dort allgemein vorherrschenden Programmatik etwas unorthodox ausgenommen habe.3 Etwas später entstand, in Folge ausgiebiger Vorstudien, ein mit Golden Wonder betitelter Tondo, der einen so differenzierten Auftrag von Gelbtönen aufweist, dass man ein goldgeschmiedetes Relief zu sehen glaubt, und aus dessen Mitte einem ein pausbäckig-verdutztes Kind entgegenblickt. Für den Künstler dürfte sich damit ein weiter Kreis geschlossen haben – bei dem kleinen Jungen, der da mit einer Nuance britischen Humors in Manier eines Sonnenkönigs in Szene gesetzt wird, handelt es sich um ihn selbst, geboren 1966 im südenglischen Horsham und aufgewachsen in der Kleinstadt Cirencester, wo er aufgrund eines schwierigen Naturells eine Sonderschule besuchte und eine Zeit lang in einer Silberschmiedewerkstatt arbeitete. Darauf folgte eine mittelgroße Odyssee, im Zuge derer er sich unter anderem als Facharbeiter im Bereich der Luft- und Raumfahrttechnik selbstständig machte, Mailänder Polizisten Englisch beizubringen versuchte und es ihn, infolge einer Verkettung besonderer Umstände, in eine argentinische Gaucho-Gemeinde verschlug.4 Nachdem er dann ohne feste Zukunftspläne in seine Heimat zurückgekehrt war, traf er einen alten Freund aus Kindheitstagen, dessen Äußerungen, wonach er doch immer gut habe zeichnen können, ihn schließlich zur Bewerbung an der Elite-Hochschule bewog.
Mark Alexander, Pioneer, 2018, Öl auf Leinwand, 42 x 35 cm, Courtesy SAUVAGE & der Künstler, Foto: Johannes Bendzulla
Auf die nachträglich gestellte Frage, was es mit der damals angebrochenen Initiationsphase auf sich gehabt habe, hat Mark Alexander geantwortet, dass er nicht unbedingt ein Renaissancekünstler, sondern ein Renaissancemensch habe sein wollen.5 Heute befinden sich Werke von ihm in Sammlungen internationaler Museen wie jener des Pariser Centre Pompidou, welches alleine neun seiner Bilder erworben hat. Auch in Deutschland kam es nach einem Umzug nach Berlin zur Beteiligung an diversen Projekten und zur näheren Bekanntschaft mit Henning Boecker, der ihn nun in das Ausstellungsprogramm seines Offspace Sauvage aufgenommen hat. Beim ersten Blick auf die Gemälde, die aktuell in den 2019 bezogenen Räumlichkeiten in der Carlstadt zu besichtigen sind, meint man es mit einer Reihe großformatiger Fotocollagen zu tun zu haben. Anders als bei Vertretern des klassischen Fotorealismus stellt der an sich bereits bemerkenswerte Grad an naturalistischer Wiedergabe hier jedoch nicht das ausschlaggebende Spezifikum dar. Ohnehin scheinen sich die in diesem Fall zugrunde liegenden Werkprämissen nicht mit gängigen kunstdidaktischen Schemata auf den Punkt bringen zu lassen. Simultan zu ihrer langsamen, oft Monate andauernden Entstehung manifestiert sich in den Darstellungen eine kulturhistorische Nachhaltigkeit, die über ein bloßes Spiel mit ikonographischen Versatzstücken oder einer nahtlosen Fortsetzung überlieferter Traditionen hinausgeht. Mit dem Motiv einer weiblichen Schaufensterpuppe nebst eines weißen Vogels und einer andeutungsweise hingekritzelten Engelsfigur nimmt sich eines der Bilder dem biblischen Thema der Verkündigung des Herrn an. Dabei erscheinen weitreichende Veränderungen, die diese Szene im Zuge unzähliger künstlerischer Ausführungen bis zu diesem Punkt durchlaufen hat, in einer wechselseitigen Entsprechung zu biographischen Gesetzmäßigkeiten, welche sich wiederum im Übergang von einer kindlich-primitiven Zeichnung zu höchster Kunstfertigkeit abzeichnen.
Mark Alexander, The Charcoal Dreamers I, 2020, Tusche auf Papier, 70 x 50 cm, Courtesy SAUVAGE & der Künstler
Den Leinwandbildern gegenübergestellt findet sich eine Zeichnung, die einer jüngst angefertigten Werkserie entstammt und in der die hier anklingenden Reflektionen mit noch weiter gefassten Zeitzusammenhängen in Bezug gebracht werden. Gleich Urmenschen, die vor zehntausenden von Jahren die frühesten der Menschheit bekannten Artefakte hervorbrachten, zeigt sich hier ein botticellihafter Jüngling, der mit rußgeschwärzten Handflächen Abdrücke in einer dunklen Höhle hinterlässt. Die Durchlässigkeit der ihn umgebenden Felswände unterstreicht dabei das Traumartige einer Situation, innerhalb welcher weltanschauliche Implikationen im Grenzbereich zwischen rationaler und intuitiver Erfassbarkeit anschaulich werden. Einer poetischen Lesart entsprechend wird im Begleittext zur Ausstellung der englische Maler und Dichter William Blake zitiert: „Die Ewigkeit ist verliebt in die Schöpfung der Zeit.“ Ein Menschenleben, ein Zeitalter, eine Evolutionsgeschichte… alles kleine, ineinander verschachtelte Ewigkeiten, in denen sich der Kreislauf von Entstehung, Entfaltung und Vergängnis vollzieht, ließe sich an dieser Stelle tiefsinnig hinzufügen. Eine Beschäftigung mit Mark Alexanders Œuvre kann einen, je nachdem wie ausgiebig man sich darauf einzulassen bereit ist, im Kopf ein Stück weiterbringen. Entscheidend macht sich dies daran fest, dass der technischen Qualität in seinen Bildern zu gleichen Teilen eine ästhetische wie eine konzeptuelle Bewandtnis zukommt. So, wie die Bedeutung eines historischen Artefakts die sich im Zuge der Zeit verändernden Rezeptionsweisen überdauert, macht es einen unverminderten Unterschied aus, ob sich eine künstlerische Position darin genügt, lediglich eine Vorstellung von Historizität zu evozieren, oder ob sich eine etwaige Historizität physisch in einer solchen niederschlägt. Die Gelegenheit, sich vor dem Hintergrund diesbezüglicher Differenzierungen ein subjektives Urteil zu bilden oder sich den hier eröffneten Fragestellungen anderweitig anzunähern, wird sich in vergleichbarer Form nicht allzu oft ergeben. Inwiefern die Bilder dieses Künstlers auch darüber hinaus ihren Platz innerhalb eines sich weiterdrehenden kulturgeschichtlichen Räderwerks behaupten können, wird man dann naturgemäß nur für einen begrenzten Zeitraum mitverfolgen können, wobei einiges dafür zu sprechen scheint, dass sie sich auch auf eigene Faust ganz gut durchschlagen werden.
Mark Alexander:
Love Between The Atoms
23. April – 12 Juni 2021
SAUVAGE
Bastionstraße 5
40213 Düsseldorf
Öffnungszeiten:
Samstag 11 – 15 Uhr
und nach individueller Vereinbarung
Die Ausstellung kann infolge einer Voranmeldung und
unter Einhaltung der Corona-Regeln besichtigt werden.
Fußnoten
- Das Werk wurde 1550 erstmalig unter dem Titel Le Vite de’ più eccellenti architetti, pittori, et scultori italiani, da Cimabue infino a’ tempi nostri (dt: Die Leben sämtlicher bedeutender italienischen Künstler von Cimabue bis in unsere Zeit) veröffentlicht und vom Wagenbach-Verlag 2015 in einer deutschsprachigen Edition neu aufgelegt.
- Vgl. Byung Chul Han: Die Errettung des Schönen, Frankfurt a. M., 2015, S. 4.
- Das Gespräch fand im März 2018 statt und ist unter dem hier verlinkten Podcast online zu hören.
- Ausführlichere Schilderungen der hier angerissenen Lebenserinnerungen hat der Künstler in einem online publizierten und sehr unterhaltsamen Interview mit der Kunstzeitschrift Areté Magazine im Sommer 2005 gegeben.
- Vgl. Ebd.