Sabine Meier, Aporie 5, 2020, 55 x 70 cm, Courtesy Galerie Rupert Pfab & die Künstlerin.
Gibt’s mich wirklich? – Sabine Meier:
Metamorphosis and Aporias,
Galerie Rupert Pfab
Als „Gehirn-im-Tank-Problem“ bezeichnet man ein von der Hypothese ausgehendes Gedankenexperiment, wonach die Gesamtheit sinnlich vermittelter Erfahrung, einschließlich jener der eigenen Körperlichkeit, auf einer bloßen Simulation beruhe. Gleichzeitig ließe sich eine entsprechende, nicht einwandfrei widerlegbare Vorstellung als überspitztes Sinnbild einer räumlich isolierten und lediglich mittels digitaler Vernetzung mit ihrer Außenwelt interagierenden Person auffassen. Umstände, unter denen sich das soziale Gegenüber weniger denn je in natura und umso öfter in Form elektronisch generierter Signale manifestiert, lassen die auf Instagram ausgegebene Devise „pics or it didn’t happen“ als durchaus ernst zu nehmende Lebensmaxime erscheinen. Im gleichen Maße, wie das in der Cloud gespeicherte Social-Media-Profil zum physisch ausgelagerten Bestandteil der eigenen Persönlichkeit avanciert, funktionieren auch die zwecks dahingehender Selbstrepräsentation verwendeten Gerätschaften als Analogon zum menschlichen Denk- und Wahrnehmungsapparat. Von Säuglingen weiß man, dass sie das auf die Netzhaut projizierte Bild gemäß seiner tatsächlichen Beschaffenheit als vertikal und horizontal gespiegelten Ausschnitt der sichtbaren Wirklichkeit wahrnehmen, woraufhin das Gehirn, im Zuge eines bemerkenswerten Akts der Selbstkonditionierung, diese visuelle Information umzudeuten lernt und fortan zu einem zweifach gespiegelten, letztlich wieder realitätsgetreuen Bild verkehrt. Während das Auge also wie eine kleine Camera obscura funktioniert, übernehmen unbewusste kognitive Funktionen den Part eines Spiegelreflex-Mechanismus bzw. den eines kongruenten prozessorbasierten Umrechnungsvorgangs.
So wie das Sehen selbst impliziert auch die fotografische Aufnahme eine zweifache, sich gleichsam selbst aufhebende Brechung der Realität, was bedeutet, dass einem bei der Betrachtung eines Fotos eine nicht weniger als vierfach gedrehte Darstellung der Selbigen erscheint. Die naheliegende Frage, wer oder was am Ende dieses kleinen Spiegelkabinetts sitzt, führt ins Ungewisse oder, wenn man so will, zu einem inneren Betrachter, über den sich kaum etwas anderes sagen lässt, als dass seine Selbstwahrnehmung in dialektischer Relation zum ihn Umgebenden stattfindet. Neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge liefert der Sehsinn bis zu achtzig Prozent der Informationen über die Außenwelt, weshalb sich eine solche Beziehung zuallererst am Faktor der gegenseitigen Sichtbarkeit festmachen muss. Die mit der Digitalisierung einhergehende Möglichkeit, das eigene bzw. das zur Illustrierung der eigenen Persönlichkeit vorgesehene Bild exzessiv zu verbreiten, und die sich dabei einstellende oder ausbleibende Resonanz jederzeit im Blick zu behalten, haben hinsichtlich diesbezüglicher Modalitäten eine denkwürdige Dynamik entfacht. Getreu der Parole „Ich poste, also bin ich.“ scheint so eine stetig aktualisierte Dokumentation des Alltäglichen zur kollektiv betriebenen Methode des selbstbezogenen Existenzbeweises geworden zu sein.
Sabine Meier, Aporie 5, 2020, 55 x 70 cm, Courtesy Galerie Rupert Pfab & die Künstlerin.
Über narzisstische Menschen sagt man, dass sie sich selbst in dezidierter Art und Weise zum Werkzeug der Selbstdarstellung machen, und dass sie nicht dazu fähig seien, die dadurch entstehende Leere in ihrem Inneren mit ihrem Selbstbild in Abgleich zu bringen. Daraus lässt sich der paradoxe Schluss ziehen, dass ein Mensch, der seine dahingehenden Persönlichkeitsanteile ehrlich zu reflektieren vermag, zumindest ein zentrales Merkmal dieser pathologischen Wesensart ablegt. Ein entspanntes Verweilen im Raum, in welchem derlei Prozesse der Selbsterkenntnis möglich werden, bildet sowohl eine Maßgabe der Achtsamkeitsmeditation als auch ein geläufiges Thema epistemischer Untersuchungen. Darüber hinaus könnte sich hieraus ein Anhaltspunkt in der inhaltlichen Annäherung an die Werke der frankoschweizerischen Fotografin Sabine Meier ergeben, welche zur Zeit in der Galerie Rupert Pfab zu besichtigen sind; Aufnahmen vornehm-minimalistisch gehaltener Interieurs, die sich in ihrer perspektivisch widersprüchlichen Anmutung über physikalische Gesetzmäßigkeiten hinwegsetzen und als Bühne rätselhafter Geschehnisse fungieren. Holzvertäfelte, gleichermaßen klaustrophobisch wie wohltemperiert wirkende Korridore, evozieren die sprichwörtliche Vorstellung eines Oberstübchens oder Kopfkinos, dessen tiefere Erkundung in Grenzbereiche des rational Nachvollziehbaren führt. Eine weitere Serie von Bildern zeigt Männer und Frauen in verschatteten Wohnräumen und Situationen, die an psychologisch aufgeladene Beziehungskonstellationen in Ingmar-Bergman-Filmen denken lassen. Analog zum cineastischen Kunstgriff des unzuverlässigen Erzählens vollzieht sich auch hier eine ansatzweise Auflösung der Realität: Ein mehrfaches Auftreten einer Person am selben Ort zur gleichen Zeit oder Spiegel, in denen die Gestalt eines Anderen zum Vorschein kommt.
Sabine Meier, Métamorphose 1 – Portrait de l’artiste en vieillard, 2009, 165 x 140 cm, Courtesy Galerie Rupert Pfab & die Künstlerin.
Unter diversen Publikationen über das Œuvre der Künstlerin, welche auf ihrer Webseite einzusehen sind, findet sich auch eine von ihr selbst verfasste Schilderung, die ein näheres Verständnis ihrer grundlegenden Werkprämissen ermöglicht. Gleich einem inneren Zwiegespräch, welches zur Hinterfragung fundamentaler Gewissheiten führt, tun sich dabei luzide, bisweilen verwirrende Erkenntnisse auf, wobei die Feststellung, dass die eigene personale Identität sich bei konsequenter Betrachtung als objektiv nicht fassbare Größe erweist, als implizite Eingangsthese vorangestellt wird; „Das Selbstportrait ist das Portrait von Niemandem. Oder aber jede Fotografie ein Selbstportrait, dergestalt, dass sich im existierenden Bild des jeweiligen Ortes zur jeweiligen Zeit ein Beweis für die Existenz des Fotografen „im Hier und Jetzt“ offenbart.“1 Die Vorstellung, dass einen der fotografische Vorgang von sich selbst entfremden kann, findet sich weiterhin im nachfolgend beschriebenen und nicht weniger bemerkenswerten Sinnbild einer Fotografin, die sich selbst als technische Komponente innerhalb einer sie umgebenden, wiederum fotografischen Maschinerie wiederfindet.2 Dabei zeichnet sich Sabine Meiers Fähigkeit, sich selbst als Bestandteil eines Ganzen zu sehen und die eigene Wahrnehmung zum Gegenstand eines kontemplativen Blicks zu machen, ebenso in ihren aktuellen Arbeiten wie in ihrem werkbiographischen Werdegang ab.
Sabine Meier, Métamorphose 3 – Flottement de la pensée (improbabilité d’une conjonction favorbable), 2010, 165 x 140 cm, Courtesy Galerie Rupert Pfab & die Künstlerin.
Entsprechend ihrer akademischen Sozialisation an der Pariser École des Beaux-arts lagen die künstlerischen Anfänge der ehemaligen, heute im französischen Le Havre lebenden Boltanski-Schülerin zunächst im malerischen und bildhauerischen Bereich, wobei die Fotografie lediglich zum Zwecke der Dokumentation dahingehender Hervorbringungen praktiziert wurde. Hervorgegangen ist daraus eine Programmatik, die auf einem raffinierten gattungsübergreifenden Zusammenspiel beruht und der auch im Rahmen der aktuellen Ausstellung Rechnung getragen wird. So findet sich den fotografischen Positionen auch eine der hier abgebildeten Konstruktionen in Form einer raumfüllenden Installation gegenübergestellt, durch die ein verbindendes Element zwischen introspektiver Motivik und physischer Realität entsteht. Alles in allem führt dies zu einer Situation, die einen Zugang zu essentiellen psychologischen und weltanschaulichen Fragestellungen schafft. Ergänzend ließe sich an dieser Stelle anmerken, dass Galerien wie die von Herrn Pfab, auch in Anlehnung an die hier ins Spiel gebrachten Ideen, besondere Orte sind, an denen das Denken seinem alltäglichen Laufrad entsteigen und neue Wege begehen kann. Darum zieht die Masken über und tretet hinaus um mitzugucken und mitzudenken und um danach vielleicht noch im Café Hüftgold ein leckeres Stück Kuchen mitzunehmen! Solange ohnehin nicht ganz klar ist, ob man nicht bloß ein Gehirn im Tank ist, muss man sich ja nicht noch zusätzlich in der muffigen Bude verschanzen.
Sabine Meier
Metamorphosis and Aporias
13. März – 30. April 2021
Galerie Rupert Pfab
Ackerst. 71
40233 Düsseldorf
Öffnungszeiten:
Mittwoch – Freitag 13 – 18 Uhr
Samstag 12 – 16 Uhr
Die Ausstellung kann infolge einer Voranmeldung und
unter Einhaltung der Corona-Regeln besichtigt werden.
Fußnoten
- “L’autoportrait n’est le portrait de personne. Ou toute photographie est un autoportrait, en ce sens que, par l’image existante de ce lieu et de cet instant, le photographe fait preuve de sa présence „ici et maintenant.“, Sabine Meier: Le portrait photographique, 2009.
- “Ça me plaisait beaucoup cette idée d’une machine photographique autarcique, voire un peu autiste, dans laquelle j’aurais été un rouage au même titre que la boîte noire, la pellicule ou le cordon. Non pas un photographe ou un modèle, mais un opérateur.“ Übers.: „Mir gefiel in hohem Maße diese Idee einer autarken, ja sogar ein wenig autistischen, fotografischen Maschine, in der ich ein Rädchen gewesen wäre wie die Belichtungskammer, der Film oder das Kabel. Nicht als Fotograf oder als Model, sondern als Operator.“, ebd..