Ludger Gerdes, o. T, 1984, 30 x 40 cm, Gouache auf Papier, Courtesy Galerie Ute Parduhn, Düsseldorf
Alles muss raus – Thomas Schütte und Ludger Gerdes: WEITER · WARTEN,
Galerie Ute Parduhn
Hello Darkness, my old Friend … Nachdem man das von landesväterlicher Seite prognostizierte, „härteste Weihnachten seit Gründung der BRD“ und dann noch das leiseste Silvester seit Erfindung des Polenböllers überstanden hat, hält der traditionell triste Januar und damit auch die Fortsetzung des ersten Seuchenjahrs ernüchternde Aussichten bereit. Das Kulturangebot hat sich nahezu restlos ausgedünnt, die Gastronomien geschlossen und das Programm der Streamingdienste gibt allmählich immer weniger her. Stattdessen kann man den immergleichen Gesichtern in abendlichen Talkshows bei der Auseinandersetzung ethischer Dilemmata zugucken, welche sich aus der Abwägung etwaiger Kollateralschäden einer flächendeckenden Wirtschaftsmisere und Sozialverödung gegen die harten Daten des RKI ergeben. Nebenbei lässt sich am tagesaktuellen Inzidenzwert ablesen, wie es gerade um den eigenen Bewegungsradius und die wochenendliche Fahrt ins Grüne bestellt ist. Vielleicht verträgt sich die Einschränkung der Mobilität ja ganz gut mit dem Brüten über die sich derzeit stellenden moralphilosophischen Probleme. Immerhin heißt es über Immanuel Kant, dessen Kritik der praktischen Vernunft nicht Wenigen nach wie vor als Goldstandard in dahingehenden Fragen gilt, dass er über die Grenzen seiner Heimatstadt Königsberg zeitlebens nicht hinausgekommen sei. Visuell empfindsamen Gemütern mag beim andauernden Durchstreifen des eigenen Kiezes, welches nach der Verrichtung des alltäglichen Homeoffice-Pensums die naheliegendste Option zur Vorbeugung hospitalistischer Tendenzen darstellt, auch die Frage in den Sinn kommen, inwieweit der urbanen Umgebung ein höheres Maß an gestalterischer Hingabe zugute käme. Bunt bemalte Häuserreihen gibt es nur in der Kiefernstraße, während sich sonstige Kunst im Freien fast ausschließlich an exponierten Orten in der Innenstadt finden lässt. Einen unverhofften Lichtblick bietet da eine Runde entlang der Bremer Straße, die hinter dem Hafen Richtung Hamm und am Areal der Kunstgießerei Kayser entlang führt.
Thomas Schütte, „Für Aussen“, Mappe mit 10 Abbildungen, 84 x 59,5 cm, 1987 Produzentengalerie Hamburg, Courtesy Galerie Ute Parduhn und der Künstler, Düsseldorf, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Imposante Bronzeskulpturen von Weltstars wie Tony Cragg oder Thomas Schütte, die sich hier im Vorbeigehen bewundern lassen und vor der Werkstatt auf ihre Verschiffung in alle Welt warten, wirken inmitten der umgebenden Industriekulisse ungewohnt nahbar. Gleichwohl die kostbaren Güter durch einen hohen Gitterzaun vor unliebsamem Zugriff geschützt werden und es sich hierbei nicht um eine ästhetisch intendierte Form der Zurschaustellung handelt, lässt sich die Vorstellung, wonach sich die Kunst aus dem eigens auf sie zugeschnittenen Setting des Ausstellungsraums hinauswagen und in freier Wildbahn behaupten könne, gerade in Thomas Schüttes Fall mit programmatischen Tendenzen übereinbringen. Konkreter ergeben sich diesbezügliche Parallelen zu der von ihm in den frühen 80er Jahren mitbegründeten Gemeinschaft der Düsseldorfer Modellbauer, deren konzeptuelle Ausrichtung auf eine Ineinssetzung bildhauerischer und architektonischer Prinzipien abzielte. Neben Harald Klingelhöller, Wolfgang Luy und Reinhard Mucha beteiligte sich daran auch der 2008 verstorbene Ludger Gerdes, welcher in den folgenden Jahren zum intellektuellen Kopf der Gruppierung avancierte und gemeinsame Grundsätze zum thematischen Ausgangspunkt diverser Publikationen gemacht hat. Eine zentrale Prämisse leitet sich in diesem Zusammenhang zunächst vom Standpunkt ab, dass divergierende Kriterien ästhetischer Beurteilung, welche sich infolge unterschiedlicher Wahrnehmungsweisen innerhalb und außerhalb des Ausstellungsraums verfestigten, eine „Immunisierung“ der Kunst angesichts jedweder objektiven Infragestellung beförderten.1 Anstatt in ein kulturkonservatives Lamento zu verfallen, stellt er eine Analogie zwischen baulich und diskursiv bedingten Gegebenheiten her und konstatiert, dass weder die rezeptive Situation in Museen und Galerien noch die Idee eines gänzlich autonomen Kunstwerks dazu geeignet seien, die Kunst vor der damit einhergehenden Entwicklung zur formalen Beliebigkeit zu bewahren.
Thomas Schütte, “Kirschensäule”, 1987, Sandstein und lackiertes Aluminium, Höhe 600 cm, Stadt Münster, Standort Münster, Harsewinkelplatz, Foto: Hubertus Huvermann
Eine konsequente Umsetzung fand die daraus resultierende Agenda, welche man maximal verkürzt als Spielart der sozialen Plastik unter Nichtzugrundelegung eines erweiterten Kunstbegriffs auf den Punkt bringen könnte, schließlich bei Ludger Gerdes und Thomas Schütte, die fortan einen Schwerpunkt auf die Arbeit im öffentlichen Raum gelegt haben. Wie so etwas aussehen kann, zeigt aktuell eine Ausstellung in der Galerie Ute Parduhn, die inhaltlich an eine bereits 1984 in der Hamburger Produzentengalerie präsentierte Werkauswahl anknüpft. Die frühen Werke beider Künstler zeigen Darstellungen von Gebäuden, Skulpturen oder Plätzen, die einen spielerischen Umgang mit emblematischen Motiven und formensprachlichen Versatzstücken erkennen lassen und die zwischenzeitlich teilweise in die Realität umgesetzt wurden. Geschehen ist dies beispielsweise anlässlich der Skulptur Projekte Münster 1987 mit Thomas Schüttes „Kirschensäule“, welche nach Vorlage eines der Motive aus dem hier präsentierten Grafikzyklus entstanden ist und mit einer humoristisch deutbaren Geste eine in vielen seiner Werke enthaltene Qualität veranschaulicht. Ein weiteres Bild aus dieser Serie zeigt einen Pavillon, dessen Anmutung an einen umgedrehten Eisbecher denken lässt und der passender Weise im Rahmen der documenta 8 als Verkaufsbude für Speiseeis genutzt wurde.
Ludger Gerdes, o. T., 1986, Aquarell auf Papier, 24 x 32 cm, Courtesy Galerie Ute Parduhn, Düsseldorf
Hinsichtlich etwaiger kunsthistorischer Referenzen ist Thomas Schütte in einem Interview unter anderem auf die „sprechende Architektur“ des französischen Klassizisten Claude-Nicolas Ledoux eingegangen, dessen größtenteils zerstörte oder aufgrund technischer Nichtmachbarkeit gar nicht erst verwirklichte Bauwerke vor dem Hintergrund ihrer Epoche hochgradig futuristisch wirken.2 Die Überlegung, dass Architektur eine kommunikative Funktion haben sollte, spiegelt sich auch in den hier gezeigten Gouachen und Aquarellen von Ludger Gerdes wieder. Im Unterschied zu Thomas Schüttes teils figurativer Formensprache macht sich dies in seinen Bildern mehr an topographischen Gegebenheiten fest. Darstellungen pittoresker Giebelhäuser, die in geometrischen Konstellationen zueinander angeordnet und durch Wege oder Wasserkanäle miteinander verbunden sind, veranschaulichen, dass nicht nur die formale Ausgestaltung, sondern auch die grundlegende Organisation einer von Menschen erschaffenen Umgebung ästhetische Faktoren impliziert. Parallel zur malerischen und bildhauerischen Behandlung dahingehender Fragestellungen hat Ludger Gerdes auch diese Thematik zum Gegenstand wissenschaftlicher Ausführungen gemacht und die hier formulierten Ansätze in die Gestaltung städtischer Plätze eingebracht.3 Das Vorhaben, künstlerische und utilitaristische Abwägungen miteinander in Einklang zu bringen, findet dabei auch unter Einbeziehung soziologischer Überlegungen statt. Die Marginalisierung und Prekarisierung des öffentlichen Raums, über die in diesem Zusammenhang schon seit Jahrzehnten diskutiert wird und die infolge der aktuellen Situation weiter fortzuschreiten droht, lassen die hier angedachte Rolle der Kunst innerhalb einer Zivilgesellschaft relevanter denn je erscheinen. Anlässlich des angebrochenen Beuys-Jahres könnte dies in der Beuys-Stadt Düsseldorf zum Anlass genommen werden, darüber zu diskutieren, wie sich das Konzept der sozialen Plastik bewährt hat und in welcher Form es sich zukünftig weiter praktizieren ließe. Tita Gieses tropisch bepflanzte Verkehrsinseln oder die Haltestellen der Wehrhahn-Linie, in denen Bestandteile der Gebäude- und Verkehrstechnik mit der künstlerischen und architektonischen Gestaltung eine gelungene Symbiose eingehen, existieren bereits und können als weitere Beispiele innerhalb eines weit gefächerten Spektrums an Möglichkeiten dienen. Die Zahl guter Künstlerinnen und Künstler, die sich über vergleichbare Aufträge gerade sehr freuen würden, wäre allemal ausreichend, um auch andere Stadtteile weiter zu verschönern, wodurch auch der Gang um nicht ganz so repräsentative Ecken eines Tages einen kulturellen Mehrwert brächte.
Thomas Schütte und Ludger Gerdes:
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4. Januar – 26. Februar 2021
Galerie Ute Parduhn
Kaiserswerther Markt 6a
40489 Düsseldorf
Die Ausstellung kann mit Mundschutz und infolge einer Voranmeldung
besichtigt werden.
Fußnoten
- Vgl. Einige Bemerkungen von Ludger Gerdes, in: KUNSTFORUM International, Bd. 65, 1983.
- Das Gespräch des Künstlers mit dem Kurator Hans Ulrich Obrist und dem Architekten Rem Koolhaas fand am 5. August 2007 im Rahmen der documenta 12 in Kassel statt.
- Vgl. Gerdes, Ludger: Platz – Raum. In: Hans Wielens (Hrsg.): Projekt Platzgestaltung. Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit im öffentlichen Raum. Münster 1996, S. 21–125 (Aufsatz mit 60 Aufnahmen des Künstlers).
Ludger Gerdes hat u. a. den Walter-Sedlmayr-Platz in München und den Klaus-Bahlsen-Brunnen in Hannover konzipiert.