Heike Kabisch / Jürgen Malcherek: White Rabbit

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Ausstellungsansicht – Heike Kabisch, Jürgen Malcherek, Courtesy Anna Klinkhammer Galerie & die Künstler

Out on the Inside – Heike Kabisch und Jürgen Malcherek: White Rabbit, Anna Klinkhammer Galerie

Es muss un­ge­fähr ei­nen Mo­nat her sein, dass ich beim Lau­fen ei­nen Blick von der Rhein­knie­brücke auf das Man­nes­mann­u­fer ge­wor­fen und ei­ne re­gel­mäßi­ge An­ord­nung weißer Krei­de­krei­se auf der dor­ti­gen Lie­ge­wie­se ent­deckt ha­be. Kla­rer Fall von Land-Art, dach­te ich, gu­te Idee, zu­mal das Gan­ze auch von den Leu­ten, die sich ver­ein­zelt in den Krei­sen nie­der­ge­las­sen hat­ten, gut an­ge­nom­men zu wer­den schien – so­zia­le Plas­tik auch ir­gend­wie, wo­bei es sich ja streng ge­nom­men um Ma­le­rei han­del­te. So o­der so wür­de sich die­ses Werk, so­weit es noch län­ger exis­tie­ren soll­te, ins Prog­ramm mei­ner kunst­ver­mitt­le­ri­schen Rund­gän­ge durch die Alt- und Carl­stadt in­te­grie­ren las­sen. Oh­ne­hin eig­net sich die Ecke zwi­schen dem KIT und dem Spee’schen Gra­ben ganz gut, um in­te­res­sier­ten Zu­hö­re­rin­nen und Zu­hö­rern ein sig­ni­fi­kan­tes Stück Düs­sel­dor­fer Kul­tur­his­to­rie nä­her­zu­brin­gen. Mit Nor­bert Kricke und Jo­seph Beuys ha­ben sich hier zwei zen­tra­le und zu­gleich er­bit­tert ver­fein­de­te Pro­ta­go­nis­ten der hie­si­gen Nach­kriegs­sze­ne im öf­fent­li­chen Raum ver­e­wigt. Im Ge­gen­satz zu Krickes Stahl­röh­ren-Skulp­tur, wel­che gut sicht­bar auf dem Vor­platz des Man­nes­mann-Hoch­hau­ses thront, muss man bei dem Beuys je­doch et­was ge­nau­er hin­schau­en, da Sel­bi­ger le­dig­lich in ei­ner mitt­ler­wei­le zu mitt­le­rer Größe an­ge­wach­se­nen Ei­che und ei­ner de­zen­ten Ba­salt­ste­le be­steht.

Er­fah­rungs­ge­mäß ver­ur­sacht die Aus­kunft, dass es sich bei dem Baum um Kunst han­delt, bei ei­ni­gen Per­so­nen Stirn­run­zeln, wo­rauf­hin sich vor­treff­lich ü­ber das Für und Wider ei­nes von Beuys ent­schei­dend mit­be­för­der­ten, ver­gleichs­wei­se weit ge­fass­ten Kunst­ver­ständ­nis­ses dis­ku­tie­ren lässt. So las­sen sich auf der ei­nen Sei­te in­te­res­san­te kon­zep­tu­el­le Im­pli­ka­tio­nen, wie in die­sem Fall die Vor­stel­lung ei­nes sich ak­tiv an der Ge­stal­tung ge­sell­schaft­li­cher Struk­tu­ren be­tei­li­gen­den Künst­lers he­raus­stel­len. Gleich­zei­tig lässt sich nicht ganz von der Hand wei­sen, dass ei­ne au­gen­fäl­li­ge Un­ter­scheid­bar­keit von Kunst und Nicht­kunst, Letz­te­res bei­spiels­wei­se in Ge­stalt an­de­rer Bäu­me oder der be­sag­ten Krei­de­krei­se, bei de­nen es sich, wie sich schließ­lich he­raus­ge­stellt hat, um zweck­mäßig in­ten­dier­te So­cial-Dis­tan­cing-Vor­rich­tun­gen han­delt, in­fol­ge da­hin­ge­hen­der Ten­den­zen bis­wei­len schwie­rig ge­wor­den ist, bzw. sich nun­mehr an bei­ge­füg­ten In­for­ma­tio­nen o­der dem je­wei­li­gen räum­lich-ins­ti­tu­tio­nel­len Rah­men fest­ma­chen lässt. So nach­hal­tig, wie die eins­ti­gen kul­tur­i­de­o­lo­gi­schen, ger­ne auf die kon­text­ent­ho­be­ne Power­phra­se „Je­der Mensch ist ein Küns­tler“ he­run­ter­ge­dampf­ten Ge­dan­ken­in­hal­te zu gän­gi­gen Kon­ven­tio­nen a­van­ciert sind, so ein­drück­lich zeigt sich, dass die be­lie­bi­ge i­de­el­le und au­ra­ti­sche Auf­lad­bar­keit von Din­gen auch ge­gen­läu­fig zur ur­sprüng­lich da­mit ein­her­ge­hen­den Prog­ram­ma­tik funk­tio­niert.

So­ge­nann­tes Art-Flip­ping, d.h. schnel­les und rein ge­winn­o­rien­tier­tes Kau­fen und Ver­kau­fen von Kunst, ließe sich in die­sem Zu­sam­men­hang als sig­ni­fi­kan­tes Merk­mal kunst­be­trieb­li­cher Struk­tu­ren qua­li­fi­zie­ren, in­ner­halb de­rer sich die ei­ner künst­le­ri­schen Po­si­tion bei­ge­mes­se­ne Re­le­vanz we­ni­ger denn je aus un­mit­tel­bar werk­im­ma­nen­ten Fak­to­ren er­gibt. So könn­te man auch dem Ein­wand, dass dies nichts Neu­es sei, ent­geg­nen, dass die­ses selt­sa­me Phä­no­men ge­ra­de vor dem Hin­ter­grund spät­ka­pi­ta­lis­ti­scher Ver­hält­nis­se im­mer stär­ker an Fahrt auf­nimmt. Deut­lich zur Schau ge­stellt wur­de die ge­gen­sei­ti­ge Be­för­de­rung markt­ra­di­ka­ler und äs­the­tisch-re­la­ti­vis­ti­scher Ten­den­zen zu­letzt auf der Art Ba­sel: be­rühm­ter Küns­tler klebt Ba­na­ne an die Wand, ver­kauft sie für ei­nen sechs­stel­li­gen Be­trag und i­ni­ti­iert da­mit ei­nen Me­dien­hy­pe, der den Preis im Ver­hält­nis zur post­wen­dend er­reich­ten Be­rühmt­heit des Werks nach­träg­lich le­gi­ti­miert. Viel­leicht bie­tet der un­ver­mit­telte Still­stand, wel­cher zwi­schen­zeit­lich so­wohl im Be­reich der Kul­tur, wie auch in Tei­len der Wirt­schaft ein­ge­tre­ten ist, bei al­len Schwie­rig­kei­ten zu­min­dest die Ge­le­gen­heit, et­was aus­gie­bi­ger da­rü­ber nach­zu­den­ken, ob man selbst ein Teil der­ar­ti­ger Akku­mu­la­tions­dy­na­mi­ken sein möch­te.

Ausstellungsansicht – Jürgen Malcherek, Courtesy Anna Klinkhammer Galerie & der Künstler

Hin­sicht­lich der Fra­ge, ob bzw. wie sich die ge­gen­wär­ti­ge Zä­sur in­ner­halb in­di­vi­du­el­ler küns­tle­ri­scher Po­si­tio­nen als sol­che be­merk­bar ma­chen wird, wer­den vo­raus­sicht­lich die nach der Som­mer­pau­se be­gin­nen­den Aus­stel­lun­gen viel­fäl­ti­ge An­halts­punk­te lie­fern. Et­was schnel­ler geht’s in der An­na Klink­ham­mer Ga­le­rie, wo zur Zeit ei­ne mit „White Rab­bit“ ü­ber­ti­tel­te Aus­stel­lung der Bild­hau­e­rin Hei­ke Ka­bisch und des Ma­lers Jür­gen Mal­che­rek statt­fin­det. Wie sich dem Pres­se­text ent­neh­men lässt, hat Jür­gen Mal­che­rek, der 2012 als Meis­ter­schü­ler von Sieg­fried An­zin­ger re­üs­sier­te, sich in den vo­ran­ge­gan­ge­nen Mo­na­ten in sein A­te­lier zu­rück­ge­zo­gen und ent­ge­gen sei­ner bis da­hin fi­gu­ra­ti­ven Mo­ti­vik ei­ne Rei­he un­ge­gen­ständ­li­cher, ü­ber­wie­gend ko­lo­ris­tisch ge­hal­te­ner Dar­stel­lun­gen an­ge­fer­tigt. Dass es in­fol­ge der in­halt­li­chen Neu­aus­rich­tung auch zu ei­ner Er­wei­te­rung des for­ma­len Re­per­toi­res ge­kom­men ist, zeigt sich im Zu­sam­men­spiel e­la­bo­rier­ter Auf­trags­tech­ni­ken, wel­che die An­mu­tung die­ser Wer­ke be­stim­men. Farb­spu­ren wur­den wie­der ab­ge­wa­schen o­der an­ge­löst, so dass nur die be­reits in die Lein­wand ein­ge­wirk­ten Rän­der ste­hen­ge­blie­ben oder mil­chig-ver­schwom­me­ne Struk­tu­ren ent­stan­den sind. Schär­fe- und Qua­li­täts­kon­tras­te füh­ren da­bei räum­li­che Si­tu­a­tio­nen her­bei, die sich un­an­ge­strengt er­kun­den las­sen. Je­des Bild weist ei­ne in­di­vi­du­el­le Kom­bi­na­tion for­men­sprach­li­cher E­le­men­te auf, die an ei­ni­gen Stel­len mit­tels ge­o­me­trisch-li­ne­a­rer An­ord­nun­gen o­der der Ver­wen­dung von Sprüh­far­be wei­ter va­ri­iert wird.

In der Ge­samt­schau er­gibt sich so der Ein­druck, dass die Ma­le­rei ei­ner klas­si­schen Ver­ständ­nis­weise ent­spre­chend, d.h. im Sin­ne ei­nes spie­le­ri­schen Aus­drucks­me­diums bild­ne­ri­scher I­deen und Im­pul­se prak­ti­ziert wird. Eine da­hin­ge­hen­de Auf­fas­sung ver­mit­telt sich auch in Hei­ke Ka­bischs hier ge­gen­ü­ber­ge­stell­tem Stand­bild mit klei­nem Spring­brun­nen, wel­ches die Fi­gur ei­nes mit Pa­let­te be­stück­ten und nach Pi­cas­so-Ma­nier mit frei­em O­ber­kör­per auf­tre­ten­den Ma­lers er­ken­nen lässt. Ge­schlos­se­ne Au­gen und ein ü­ber­pro­por­tio­nier­ter Kopf sug­ge­rie­ren die Vor­stel­lung ei­nes in sich ge­kehr­ten Geis­tes­men­schen und ver­lei­hen ihr zu­gleich kind­haf­te Zü­ge, wel­che die an die­ser Stel­le an­klin­gen­den Ge­nie-Kli­schees auf i­ro­ni­sche Art und Wei­se bre­chen. Der Ge­dan­ke, dass die ein we­nig an Char­lie Brown e­rin­nern­de Ge­stalt die ihn um­ge­ben­den Bil­der selbst an­ge­fer­tigt ha­be, um an­schlie­ßend auf den Sockel zu stei­gen und sich nach Ma­ler­fürs­ten­art da­für be­wun­dern zu las­sen, liegt in die­sem Zu­sam­men­hang nicht we­ni­ger nah, als das hier prä­sen­tier­te Pro­gramm mit dem Aus­stel­lungs­ti­tel in Be­zie­hung zu brin­gen: gän­gi­gen Deu­tun­gen zu­folge stellt der Dachs­bau, in wel­chen A­li­ce von dem wei­ßen Ha­sen ge­lockt wird, ei­ne Me­ta­pher für das Un­ter­be­wuss­te dar. Et­was all­ge­mei­ner wird die im pop- und un­ter­hal­tungs­kul­tu­rel­len Kon­text ver­schie­dent­lich the­ma­ti­sier­te Ver­fol­gung des wei­ßen Ha­sen als Sinn­bild spi­ri­tu­el­ler Er­fah­rung ver­wen­det, wie sie auch kre­a­ti­ven Fin­dungs­vor­gän­gen zu­grun­de lie­gen­de Geis­tes­zu­stän­de aus­lö­sen kön­nen. Ak­ti­vi­tä­ten, für die sich ein ge­wis­ses Maß an Kon­tem­pla­tion al­so als för­der­lich, wenn nicht gar als un­er­läss­lich er­wei­sen dürf­te.

Ausstellungsansicht – Jürgen Malcherek, Courtesy Anna Klinkhammer Galerie & der Künstler

Bei ei­ner kur­zen Un­ter­hal­tung mit der Ga­le­ris­tin ha­be ich er­fah­ren, dass sie sich zu Be­ginn der Aus­stel­lungs­pla­nung an das be­reits 2006 an­ge­fer­tig­te Werk der mitt­ler­wei­le in Ber­lin le­ben­den und un­ter an­de­rem als Meis­ter­schü­le­rin Ka­tha­ri­na Fritschs gra­du­ier­ten Küns­tle­rin e­rin­nert ha­be. Zu­sam­men­ge­kom­men sind so zwei Po­si­tio­nen, die sich nicht nur ge­mäß ei­ner mehr o­der we­ni­ger weit ge­fass­ten Kon­zep­tion ü­ber­ein brin­gen las­sen, son­dern die in Er­gän­zung zu­ei­nan­der ei­nen neu­en Sach­ver­halt vor Au­gen füh­ren. Ein­ge­denk wei­te­rer Ü­ber­le­gun­gen, an­hand de­rer Jo­seph Beuys sei­ne ein­gangs zi­tier­te Aus­sa­ge spe­zi­fi­ziert hat, o­rien­tiert sich künst­le­ri­sches Han­deln an der Prä­mis­se, nicht­ma­te­riel­len Phä­no­me­nen ei­ne ma­te­riel­le Be­schaf­fen­heit zu ge­ben.1 Es macht al­ler­dings ei­nen Un­ter­schied aus, ob die­ser Grund­satz mit der Ent­ste­hung ei­nes Kunst­werks re­a­li­siert, oder da­rü­ber hi­naus ob­jek­tiv an­schau­bar ge­macht wird, wo­rin wie­de­rum ei­ne im Fall die­ser Aus­stel­lung be­son­ders her­vor­zu­he­ben­de Qua­li­tät be­steht. So wie Heike Ka­bischs Skulp­tur und Jür­gen Mal­che­reks Bil­der hier nicht als dis­pa­ra­te Ver­tre­ter in je­weils ei­ge­ner Sa­che fun­gie­ren, of­fen­bart sich da­bei auch ein Mo­ment der In­tro­spek­tion als Un­ter­bre­chung ei­ner a­tem­lo­sen Selbst­ver­äu­ße­rung, die nicht nur im Kunst­be­trieb zum exis­ten­tiel­len Dik­tum ge­wor­den ist.

Heike Kabisch und Jürgen Malcherek:
White Rabbit

Anna Klinkhammer Galerie
Neubrückstraße 6
40233 Düsseldorf

Öffnungszeiten:

Mittwoch bis Samstag 12-18 Uhr

19. Juni bis 6. September 2020

Fußnoten

  1. Wer sich dies­be­züg­lich für den ge­nau­en Wort­laut in­te­res­siert, fin­det ihn in ei­ner Auf­zeich­nung ei­ner Dis­kus­sion, die der Küns­tler 1970 mit den Phi­lo­so­phen Max Ben­se und Ar­nold Geh­len, dem Küns­tler Max Bill und dem Kunst­his­to­ri­ker Wie­land Schmied ge­führt hat.

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