Ausstellungsansicht – Juergen Staack, Foto: Achim Kukulies, Courtesy Konrad Fischer Galerie & der Künstler
Sag mir wo die Blumen sind – Hans-Peter Feldmann / Thomas Ruff / Juergen Staack, Konrad Fischer Galerie
Unter dem gut klingenden Begriff „Flashbulb Memories“ oder „Blitzlichterinnerung“ bezeichnet man einen kognitiven Vorgang, im Zuge dessen sich die persönliche Situation im Augenblick der zur Kenntnisnahme weltverändernder Geschehnisse unwiderruflich ins Gedächtnis einbrennt. Personen, die zu Zeugen zeitgleicher Berichterstattung von Ereignissen wie der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, dem Fall der Berliner Mauer oder dem Einsturz des World Trade Centers geworden sind, wissen im Allgemeinen noch genau, wo sie waren und was sie gerade taten, als die diesbezüglichen Nachrichten sie erreichten. Wie es der Wortlaut bereits verdeutlicht, gleichen diese Erinnerungen Momentaufnahmen, die unter anderen Umständen im Allerlei des mehr oder weniger Erinnernswerten aufgegangen wären. Anders als dieses Phänomen, welches den meisten vertraut sein dürfte, stellen historische Geschehnisse, die eine vergleichbare Intensivierung der Alltagswahrnehmung nicht nur für einen Augenblick, sondern für einen längeren Zeitraum herbeiführen, zumindest für einen Großteil unserer Gesellschaft etwas bislang Unbekanntes dar.
Mittel- bis langfristig wird man an die Zeit des gegenwärtigen Ausnahmezustands und die dadurch bedingte Veränderung der Lebensumstände womöglich wie an eine Verkettung einprägsamer Eindrücke zurückdenken. „Stroboskoperinnerung“ sozusagen, verknüpft mit besorgniserregenden, beängstigenden oder auch positiven Erlebnissen, die das unweigerliche Ausbrechen aus einer lange verinnerlichten Routine vielleicht mit sich gebracht haben werden. In die zweite Kategorie würden für mich ausgedehnte Spaziergänge fallen – organisierte Fluchten aus dem Homeoffice, die meine Freundin und mich eine ungeahnte Fülle sehenswerter und vergleichsweise einsamer Landstriche im weiteren Umkreis haben erkunden lassen. Die Trockenheit, welche in dieser Region ungefähr so lange andauert wie die Pandemie, hat sich bislang zumindest nicht sichtbar auf die hiesige Vegetation ausgewirkt. Mit einem Hang zur Weissagung könnte man behaupten, dass uns die Natur einen Blick auf das gewährt, was wir verlieren könnten, wenn wir die aktuellen Krisen nicht als Chance für einen radikalen Neuanfang nutzen.
Solar Copy / Shadows of Plants No. 019, 2019, Cyanotypie, 18 x 13 cm, Unikat, © Juergen Staack, Courtesy Konrad Fischer Galerie & der Künstler
Tiefgründige Überlegungen dieser Couleur konvergieren durchaus mit zeitgeistigen Strömungen einer Art Naturromantik-Revivals, welche der Auffassung von den uns umgebenden Pflanzen als materieller Ressource neue wissenschaftliche und weltanschauliche Verständnisweisen entgegensetzen und beispielsweise einen Wald nicht nur als pittoresken Bestandteil unserer dinglichen Umgebung, sondern als kommunenartiges Netzwerk zahlreicher Einzelindividuen offenbaren.1 Der emphatische Blick über die Gattungsgrenze macht sich in diesem Zusammenhang an teils neuen und teils älteren Erkenntnissen aus dem Bereich der Botanik fest. Wie man vor Kurzem herausgefunden hat, verfügen Pflanzen über einen Gleichgewichtssinn, der sie davor bewahrt, einfach umzufallen.2 Länger bekannt ist hingegen die Tatsache, dass vegetabile Lebensformen das Licht über sogenannte Fotorezeptoren aufnehmen, die auch den Funktionsweisen des menschlichen Auges zugrundeliegen und deren ursprüngliche Entstehung auf frühevolutionäre Stadien zurückzuführen ist. Vorgänge der optischen Wahrnehmung basieren mithin auf organischen Strukturen, die auch im Zuge der Fotosynthese zum Einsatz kommen.
Ausstellungsansicht – Hans-Peter Feldmann, Foto: Achim Kukulies, Courtesy Konrad Fischer Galerie & der Künstler
Entscheidend zu verdanken haben wir die Koexistenz atmender und nichtatmender Lebewesen sogenannten Cyanobakterien, deren explosionsartige Ausbreitung vor rund 2,5 Milliarden Jahren überhaupt erst zu einer sauerstoffhaltigen Atmosphäre führte. Darüber hinaus lassen sich die Mikroorganismen zur Gewinnung eines blauen Farbstoffs namens Cyanin nutzen, der sich auch synthetisch herstellen lässt und in dieser Form im fotografischen Verfahren der Cyanotypie Anwendung findet. Grundsätzlich handelt es sich dabei um eine wenig geläufige Technik, die einem auch in der bildenden Kunst eher selten unterkommt. Vor diesem Hintergrund stellen auch derzeit in der Konrad Fischer Galerie gezeigte Werke Juergen Staacks, die passender Weise pflanzliche Motive zum Inhalt haben, eine Besonderheit dar. Bei näherer Betrachtung lassen die kleinformatigen Abbildungen, welche im Rahmen einer Gemeinschaftsausstellung mit Fotos und Plastiken von Thomas Ruff und Hans-Peter Feldmann zu sehen sind, in entsprechenden Blaunuancen gehaltene Silhouetten verschiedenartiger Gewächse erkennen. Schatten, die infolge einer kameralosen Belichtungsmethode festgehalten wurden und die der Düsseldorfer Konzeptkünstler während einer kürzlich unternommenen Exkursion durch zentralasiatische Steppenlandschaften zu Papier gebracht hat.
Ausstellungsansicht – Thomas Ruff, Foto: Achim Kukulies, Courtesy Konrad Fischer Galerie & der Künstler
Während Juergen Staack das Sonnenlicht nutzt, die Pflanze stehen lässt und den Eingriff in die Natur minimal hält, zeigen die weiteren hier vertretenen Positionen Abbilder einer domestizierten Flora, die einem zunächst von Hans-Peter Feldmanns großflächigen Reproduktionen auf die 1950er Jahre datierender Postkarten entgegenstrahlt. Dabei ergibt sich gerade in Gegenüberstellung mit den als Inbegriff bourgeoisen Dekorationsschmucks inszenierten Darstellungen grellfarbiger Zuchtblumen ein fulminanter Kontrast. Noch deutlicher wird der weit gespannte Bogen zwischen unberührter Wildnis und artifizieller Massenware angesichts einiger Plastikbouquets, die der bekannteste Deutsche Vertreter der Appropriation Art zu einer kreisförmigen Wandinstallation zusammengefügt hat. Innerhalb der sich in diesem Zusammenhang abzeichnenden Bandbreite unterschiedlicher Bedeutungen, mit denen sich das Blumen- oder Pflanzenmotiv verknüpfen lässt, nimmt Thomas Ruff mit seiner hier präsentierten Werkserie eine vergleichsweise vertraute Position ein. So erscheint es zumindest beim ersten Blick auf die in elegantem Schwarzweiß gehaltenen Fotografien, die unter anderem Gerberas und Schwertlilien vor weißem Hintergrund zeigen. Bei genauerem Hinsehen lässt sich eine silbrige Textur ausmachen, die mit einem überdeutlichen Hervortreten der Stengel und Blüten einhergeht. Der ein wenig an Fotogramme der klassischen Moderne erinnernde Effekt verdankt sich dabei einer Überlagerung von Positiv- und Negativaufnahmen, die der ehemalige Lehrer von Juergen Staack mittels digitaler Bildbearbeitung nachempfunden hat. Verstärkt wird der hierdurch herbeigeführte Vintage-Charakter durch gebrochene Weißtöne und leichte Verschmutzungen, die ein Moment der Vergänglichkeit suggerieren.
Ausstellungsansicht – Juergen Staack, Foto: Achim Kukulies, Courtesy Konrad Fischer Galerie & der Künstler
Eine ebenso einleuchtende wie subtile Methode, den an dieser Stelle anklingenden Vanitasgedanken zu vergegenwärtigen, zeigt sich schließlich in einer Reihe ortsspezifischer Installationen, innerhalb derer Blumen nach Art ephemerer Werkstoffe in Erscheinung treten. Dabei besteht der eigentliche Kunstgriff, anhand dessen sich die Werke von beliebigen Raumaccessoires unterscheiden lassen, lediglich in Schatten, die mit dem Tageslicht auf die leeren Seiten aufgeklappter Skizzenhefte fallen. Juergen Staack setzt damit einen kontemplativen Schlusspunkt, indem er immaterielle, im Laufe sonniger Tage allmählich über das Papier wandernde Bilder des Blühens und Verblühens entstehen lässt. Am Ende bleibt festzustellen, dass das dargebotene Programm den vielfältigen Konnotationen, welche das hier behandelte Sujet im Zuge unterschiedlicher Epochen erfahren hat, ein paar neue Facetten hinzufügt. Kunstguckerinnen und -gucker sollten daher die Gelegenheit nutzen, sich unter solcherlei Blickwinkeln oder einfach zum Zweck zwischenzeitlicher Erbauung eine Ladung Flower Power zu genehmigen, wobei es allerdings nicht verkehrt ist, sich mit etwas Umsicht durch die Räume zu bewegen. Auch wenn die Blumen nicht unmittelbar zurückgucken, spüren einige von ihnen zumindest, ob man ihnen gerade in der Sonne steht.
Hans-Peter Feldmann, Thomas Ruff, Juergen Staack
13. März – 21. August 2020
Konrad Fischer Galerie
Platanenstr. 7
40233 Düsseldorf
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Samstag 11h-18h