
New York Tendaberry, Tusche, Acryl und Öl auf Holz, 2016-17, 75 x 150 x 4,5 cm, drei Tafeln, © Ulli Maier, Courtesy: Bespoke Gallery & Studio, Düsseldorf
Augenbrauengymnastik für Farbfeldgeschädigte – Ulli Maier: Instant Vintage, Bespoke Gallery & Studio
So, wie sich die Daseinsberechtigung eines Kellners an der Notwendigkeit festmacht, Speisen und Getränke an einen Tisch zu tragen, verdankt sich jene eines Kunstvermittlers grundsätzlich der Vermittlungsbedürftigkeit von Kunstwerken. Anders als im Restaurant besteht der eigentliche Erlebniswert dabei mitunter weniger in dem, was man serviert, als in dem, was man vorenthalten bekommt. Eingedenk der Vorstellung, wonach die Kunst als Ausdrucksmedium weltanschaulicher Ideen selbst immer mehr in den Rang eines weltanschaulichen Systems aufsteigt, erscheint es nicht ganz abwegig, bestimmte künstlerische Tendenzen, deren Relevanzanspruch sich explizit in Abgrenzung von „bildnerischen Konventionen“ ergibt, als zeitgerechten Ausdruck einer ikonoklastischen Mentalität zu qualifizieren.1 Entgegen einer oberflächlichen Wahrnehmung, wonach bahnbrechende kunsttheoretische Paradigmenwechsel fast schon an der Tagesordnung sind, erweisen sich die Denkfiguren, anhand derer die Progressivität dahingehender Positionen herausgestellt oder herauszustellen versucht wird, als bemerkenswert einförmig. Beispielhaft sei an dieser Stelle Daniel Buren genannt, dessen Streifenbilder von Jean François Lyotard mit einer schockartigen Erhabenheitswirkung assoziiert werden.2 Grundsätzlich stellt die radikale formale Reduktion, durch welche sich diverse Ansätze der abstrakten Nachkriegs- und Postmoderne auszeichnen, eine Strategie des Weglassens dar, d.h. dass sich etwaige Qualitätsfaktoren aus einer Dialektik zu etwas Abwesendem ableiten.

Instant Vintage, Tusche, Acryl, Öl & Dispersion auf Holz, 2018-19, 50 x 60 cm, © Ulli Maier, Courtesy: Bespoke Gallery & Studio, Düsseldorf
Die Tatsache, dass das Weglassen selbst keinen bildnerischen Akt beinhaltet, führt dabei zu einer rezeptiven Situation, im Zuge derer sich die dadurch bedingten konzeptuellen Faktoren ebenso wenig über die physische Wahrnehmung erschließen, sondern bestenfalls auf der Grundlage bereits vorhandenen Wissens mitgedacht bzw. über den Weg der Kunstvermittlung erläutert werden. In seinem 1991 publizierten Essay „Die gegenstandslose Welt“ definiert der Designer und Autor Otl Aicher diesen Aspekt als eine Art semantisches Vakuum, welches er wiederum als sichtbare Manifestation eines marktradikalen Zeitgeistes herausstellt.3 Die eher selten gestellte aber grundlegende Frage nach möglichen Ursachen einer solchen Koinzidenz formalästhetischer und ideologischer Grundsätze lässt sich vermutlich nicht abschließend beantworten. Dabei ließe sich ein konkreter historischer Ausgangspunkt noch am ehesten an kulturpolitischen Maßnahmen in der Frühphase des kalten Krieges festmachen, welche entscheidend dazu beitrugen, avantgardistische Positionen des abstrakten Expressionismus oder der Farbfeldmalerei als Aushängeschilder einer westlich-libertären Gesellschaft zu etablieren.4
Dass in Reaktion auf die gegenständliche Formensprache der ideologisch konnotierten Stile des faschistischen und sozialistischen Realismus eine ganze Kulturtechnik als Ausdrucksmedium einer totalitären Gesinnung tabuisiert wurde, stellt eine einmalige Zäsur dar, die das westliche Kunstverständnis nachhaltig beeinflusst hat. Im gleichen Maße, wie es sich eingebürgert hat, die etwaige Fortschrittlichkeit neuer, ungegenständlicher Ansätze anhand bisweilen schwer nachvollziehbarer didaktischer Kunstgriffe herauszustellen, kam diese Kulturtechnik, welche sich allgemein mit einer narrativ angelegten Mal- und Zeichenweise gleichsetzen lässt, im Grenzbereich zwischen Hoch- und Alltagskultur neu zur Entfaltung. Künstler wie Robert Crumb und Saul Steinberg, die seit den 1960er Jahren zu den exponiertesten Vertretern einer progressiven Comic-Kultur zählen, nehmen infolge dieser Entwicklung insofern einen ambivalenten Stellenwert ein, als dass ihre Originale zwar regelmäßig in Kunstmuseen präsentiert aber im Zweifelsfall immer noch im Bereich der angewandten Kunst verortet werden.

Uh-oh, Tusche, Acryl und Öl auf Holz, 2016-17, 30 x 48,5 x 4,5 cm, © Ulli Maier, Courtesy: Bespoke Gallery & Studio, Düsseldorf
Dabei leitet sich die Differenzierung zwischen U- und E-Kultur, oder, wie man es im Englischen etwas weniger spröde formuliert, zwischen lowbrow und highbrow culture in diesem Fall zunächst aus der einfachen Tatsache ab, dass das Œuvre von Leuten wie Crumb oder Steinberg, ganz ungeachtet seiner ästhetischen und konzeptuellen Qualitäten, überwiegend in Ergänzung mit literarischen Texten funktioniert, was ihnen das Etikett „Illustration“ einbringt. Ein weiteres, weitaus delikateres Distinktionsmoment hängt wiederum damit zusammen, dass man es mit dem durch das E in E-Kultur bezeichneten Ernst im Kunstbetrieb ziemlich rigide nimmt, weshalb der den besagten Positionen inhärente, dezidiert humoristische Habitus gängigen Sichtweisen entsprechend als expliziter Ausweis von Trivialität verstanden wird.
Aus alldem ließe sich der Schluss ziehen, dass man sich mit einer ganzen Reihe kunstsoziologischer Spitzfindigkeiten herumschlagen muss, soweit man beabsichtigen sollte, sich als Maler mit irgendwie der Erheiterung dienlichen Realitätsabbildern im Bereich der Hochkunst zu behaupten. Was läge in einem solchen Fall also näher, als derlei milieuspezifische Usancen gleich zum Thema dahingehender Hervorbringungen zu erheben? Diese Überlegung scheint auch in einigen der Werke Ulli Maiers eine Rolle gespielt zu haben, welche es zur Zeit in den von ihm selbst betriebenen Räumlichkeiten der Bespoke Gallery auf der Ackerstraße zu sehen gibt. Um Maier selbst alleine anhand der wesentlichsten biographischen Informationen vorzustellen, muss man etwas weiter ausholen: Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Joseph Beuys und Gerhard Hoehme, danach Architekturstudium an der TH Delft und Mitarbeit in einem renommierten Architekturbüro. Zwischendurch jahrelange Aufenthalte in Asien, Nord-, Süd und Mittelamerika und schließlich eine Beteiligung an Bandprojekten wie Lost Gringos oder Nova Express. Darüber hinaus kam es noch zu einigen Einzelausstellungen in unterschiedlichen Galerien, bevor er seine eigenen Räume zuletzt für eine Ausstellung seines kurz zuvor aus der Haft entlassenen Freundes Helge Achenbach zur Verfügung gestellt hat.

The Last Frontier, 2016 – 17, 75 x 50 x 4,5 cm, Tusche, Acryl, Dispersion und Öl auf Holz, © Ulli Maier, Courtesy: Bespoke Gallery & Studio, Düsseldorf
Analog zur Umtriebigkeit, die sich hinsichtlich dieses beruflichen Werdegangs abzeichnet, scheint auch Maiers malerische Tätigkeit durch ein Interesse an partikulären lebensweltlichen Bereichen motiviert zu sein. Aspekte wie die oben aufgezeigten kunstsoziologischen Implikationen lassen sich mithin innerhalb eines Gruppenbildes finden, in dem die saturierten Mienen einiger A-Celebrities der New Yorker Kunstszene bei einer Vernissage in den Blick genommen werden.5 Der an dieser Stelle ebenso beiläufig wie anschaulich vermittelte Eindruck, dass das Primat des Personality-Faktors die Kunst zur Nebensache degradiert, findet eine Entsprechung in einem Doppelportät von Heidi Klum und Vito Schnabel, in welchem wiederum ersichtlich wird, wie harmonisch exponierte Protagonisten der Hoch- und der Trivialkultur unter der Voraussetzung eines sich gegenseitig befördernden Promi-Status zueinander finden können. Der hier vorgenommene Exkurs in die Welt der Schönen, Reichen und Wichtigen steht dabei exemplarisch für eine künstlerisch-dokumentarische Inspektion sozialer Nischen und Szenarien, in denen sich das sprichwörtliche Schauspiel des Lebens von einer denkwürdig bis grotesken Seite zeigt.

Bugeye, 2013, Acryl und Öl auf Holz, 2013, 40 x 40 x 4,5 cm, © Ulli Maier, Courtesy: Bespoke Gallery & Studio, Düsseldorf
Dass Komik und Grauen diesbezüglich nah beieinander liegen können, offenbart sich angesichts einiger Bilder von Atomtests, die in den 1950er Jahren in der Nevada-Wüste durchgeführt und von arglos zukunftsbeseelten Bürgern nach Art eines Feuerwerks bestaunt wurden. Wie in vielen von Maiers Werken zeigt sich auch hier eine Tendenz, den American Way of Life in seinen zweifelhaften Facetten zu beleuchten. Dies trifft auch auf eine Reihe malerisch minutiös reproduzierter Fotos zu, wie sie in den USA im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung straffälliger Personen angefertigt werden. In der Gesamtschau ergibt sich so ein Programm in dem Sachverhalte wie Klassismus, hegemoniale Hybris oder physische Gewalt als basale Bestandteile einer zivilisatorischen DNA vergegenwärtigt und auf gleichermaßen verstörende wie unterhaltsame Weise vorgeführt werden. Die Unmittelbarkeit, in der dies stattfindet, verdankt sich neben einem pointierten Blick für vielsagende Motive auch einer akkuraten Darstellungsweise, wobei zunächst lapidar zu konstatieren ist, dass Ulli Maiers Bilder wie die eines Malers aussehen, der das Handwerk einer realistischen und auf alle möglichen Motive anwendbaren Wiedergabe beherrscht. Dem Anliegen, den Betrachter an einem Blick auf das eine oder andere absonderliche Zeichen unserer Zeit teilhaben zu lassen, wird in diesem Zusammenhang jenes des individuellen Ausdrucks kategorisch untergeordnet. Man könnte auch sagen, dass es ihm ausschließlich darum geht, was in seinen Bildern gezeigt wird, wohingegen das Wie nicht mehr als ein bestmöglich eingesetztes Mittel zum Zweck zu bezeichnen scheint. Diesem Grundsatz entspricht auch die einfache Aussage, „Ich will zeigen, wie es zugeht auf der Welt“, welche den der Ausstellung beigefügten textlichen Ausführungen vorangestellt wird.

Love Parade, 2019, Tusche und Acryl auf Holz, 95,5 x 77 cm, © Ulli Maier, Courtesy: Bespoke Gallery & Studio, Düsseldorf
Dem künstlerischen Grundsatzbekenntnis, welches einem Zitat des US-amerikanischen Krimiautoren Eric Ambler entlehnt ist, folgen ebenso profunde wie lakonische Auslassungen aus Maiers eigener Feder, wobei er es auch hier tunlichst vermeidet, auf modale Aspekte und somit letztendlich auf sich selbst einzugehen. Vielmehr funktionieren die in kurzen Absätzen gehaltenen Kommentare als in Worte gefasste Ergänzungen zum erzählerischen Gehalt, welcher sich in den jeweiligen Bildern angelegt findet. Wie sich im Zuge einer eingehenden Lektüre zeigt, ergibt sich im Zusammenspiel des sprachlich und des visuell Vermittelten eine Situation, die statt eines semantischen Vakuums eher eine semantische Druckbetankung bereithält. Da dies an und für sich bereits eine positiv zu wertende Tatsache ist und es über New Yorker VIPs, Atomwolken und schweren Jungs noch einiges mehr zu sehen gibt, empfiehlt sich ein Besuch bei Herrn Maier vor allem für diejenigen, deren Kunsthunger sich nicht anhand der eingangs skizzierten Rezeptionsweisen stillen lassen will.
Ulli Maier:
Instant Vintage
Bespoke Gallery & Studio
Ackerstraße 67
40233 Düsseldorf
0211 87520565
www.ullimaier.com
Besichtigung nur infolge vorheriger Absprache
Fußnoten
- Vgl. Latour, Bruno / Weibel, Peter (Hrsg.): Iconoclash: Beyond the Image Wars in Science, Religion and Art, 2002, Cambridge, MA.
- Vgl. Lyotard, Jean-François: Die Erhabenheit ist das Unkonsumierbare, in: KUNSTFORUM International, Bd. 100, April/Mai 1989, S. 354 ff..
- Vgl. Aicher, Otl: Die gegenstandslose Welt, in: Du. Das Kulturmagazin, Nr. 609, 1991, S. 16 ff.. Aicher spezifiziert diese Aussage mit den Worten „So blüht die gegenstandslose Kunst vor allem dort, wo es das gegenstandslose Geld gibt, die gegenstandslosen Imperien und die gegenstandslosen Institutionen, als welche man die Banken betrachten darf.“
- Vgl. Stonor Saunders, Frances: Wer die Zeche zahlt… Der CIA und die Kultur im kalten Krieg, Berlin, 2001, S. 266 f..
- Bei den dargestellten Personen handelt es sich um die Choreographin Elizabeth Streb, die Museumsdirektorin Thelma Golden, den Schriftstelle Bob Colacello, die Schauspielerin Stella Schnabel, Die Landschaftsarchitektin Susan Lowry und ihren Mann, den Museumsdirektor Glenn D. Lowry (v.l.n.r.).