Thomas Wrede: Stadt am See (aus der Serie ‚Real Landscapes‘), C-Print Diasec, 2018, 170 x 240 cm, © Thomas Wrede, VG-Bildkunst, Bonn, Courtesy: Beck und Eggeling, International Fine Arts | Düsseldorf | Vienna
Minimimikry – Thomas Wrede: Sceneries, Galerie Beck & Eggeling
Wenn man im Wörterbuch unter „Mimesis“ nachschlägt, findet sich eine Reihe divergierender Definitionen, wobei sich eine semantische Schnittmenge am ursprünglichen altgriechischen Wortsinn festmacht, der auf deutsch soviel wie „Nachahmung“ bedeutet. Wie sich an gleicher Stelle nachlesen lässt, beruhen die unterschiedlichen Begriffsauslegungen auf verschiedenen Konnotationskontexten, welche diverse Wissensbereiche von der Biologie bis zur philosophischen Teildisziplin der Ästhetik einschließen. In der Zoologie versteht man darunter die Fähigkeit eines Lebewesens, zum Zwecke der Tarnung die Gestalt seiner Umwelt anzunehmen. Als philosophischer Topos spielt die Mimesis schon so lange eine Rolle wie die Kunst selbst, d.h. seitdem sich Platon und Aristoteles in einen diesbezüglichen Gedankenaustausch begeben haben. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Ausbildung mimetischer Fähigkeiten sowohl um einen evolutionsübergreifenden wie auch um einen individuell vollzogenen Vorgang handelt und dass sich die stammesgeschichtliche Entwicklung in derjenigen des einzelnen Organismus’ wiederspiegelt, liegt es nahe, eine dahingehende Analogie auch im Zusammenhang zwischen biographischen und anthropologischen Gesetzmäßigkeiten zugrunde zu legen.
Thomas Wrede: Freibad (aus der Serie ‚Real Landscapes‘), C-Print Diasec, 2018, 95 x 120 cm, © Thomas Wrede, VG-Bildkunst, Bonn, Courtesy: Beck und Eggeling, International Fine Arts | Düsseldorf | Vienna
Eine solche Überlegung bildet auch die Prämisse innerhalb Walter Benjamins 1933 verfassten Essay „Lehre vom Ähnlichen“ in dem der Berliner Philosoph und Medienwissenschaftler avant la lettre die menschheitsgeschichtliche Bewandtnis auf Nachahmung basierender Kulturtechniken mit der persönlichkeitskonstituierenden Funktion des kindlichen Spiels vergleicht. Wie der Autor eingangs konstatiert, spielt „Das Kind (…) nicht nur Kaufmann oder Lehrer sondern auch Windmühle oder Eisenbahn“1, was eingedenk der Tatsache, dass die Leserinnen und Leser jener Zeilen selbst einmal Kinder waren, eine weithin zu bestätigende Feststellung sein dürfte. Ebenso naheliegend erscheint vor diesem Hintergrund der Umstand, dass das Spiel im Zuge aufeinanderfolgender Lebensphasen einen immer höheren Realitätsgrad haben muss, um eine gleichbleibende Plausibilität beizubehalten. Im gleichen Maße, wie das magische Denken der Ernüchterung des Erwachsenenalltags weicht, wird so ein immer größerer materieller Aufwand betrieben, was sich insbesondere am oben aufgeführten Beispiel des Eisenbahn-Spielens veranschaulichen lässt: Da wo sich die kindliche Fantasie mit ein Paar aufgereihten Stühlen begnügt, bedarf es später einer akribisch ausstaffierten Märklin-Anlage.
Thomas Wrede: The luminous Screen (aus der Serie ‚Real Landscapes‘), C-Print Diasec, 2018, 140 x 190 cm, © Thomas Wrede, VG-Bildkunst, Bonn, Courtesy: Beck und Eggeling, International Fine Arts | Düsseldorf | Vienna
Als Erwachsenenspielzeug ist die Modelleisenbahn allerdings nicht mehr ganz up to date. Schaut man sich die heutige Freizeitgestaltung der ehemals zentralen Zielgruppe technikaffiner mittelalter Männer an, so scheinen ihr digitale Spiegelreflexkameras mittlerweile den Rang abgelaufen zu haben. Die hobbyfotografische Kurzweil wird gerade im Umgang mit den neueren Geräten durch eine Reihe neumodischer Features wie der sogenannten Tilt-Shift-Funktion befördert, welche Architektur- und Landschaftsansichten durch Tricksereien mit der Tiefenschärfe wie Makroaufnahmen entsprechender Miniaturnachbildungen aussehen lässt. Aus Kindern, die sich einst die Welt der Erwachsenen mit spielerischen Mitteln angeeignet haben, werden so Erwachsene, die diese Welt in Spielzeug zurückverwandeln. Gleichwohl der zwischenzeitlich in der Werbefotografie inflationär eingesetzte Effekt rasch an Reiz verliert, ist das hierin angelegte wahrnehmungspsychologische Vexierspiel, welches sich durch die wechselseitige Umkehrung der Größenverhältnisse ergibt, durchaus bemerkenswert.
Thomas Wrede: Früher Morgen bei den Korallenmoosinseln (aus der Serie ‚Real Landscapes‘), C-Print Diasec, 2018, 80 x 160 cm, © Thomas Wrede, VG-Bildkunst, Bonn, Courtesy: Beck und Eggeling, International Fine Arts | Düsseldorf | Vienna
Ein vergleichsweise kongruentes und zugleich genau gegenteiliges Seherlebnis stellt sich angesichts einiger zur Zeit bei Beck & Eggeling präsentierter Werke Thomas Wredes ein, wobei die auf den ersten Blick authentisch anmutenden Luftaufnahmen zunächst den Eindruck vermitteln, im Zuge der ebenso im Trend liegenden Drohnenfotografie entstanden zu sein. Etwaige Ambivalenzen, die einen bei näherer Betrachtung der pittoresk-artifiziell anmutenden Motive wie einer Küstenstadt oder eines im Grünen gelegenen Freibads beschleichen mögen, klingen auch in der Mehrdeutigkeit des Ausstellungstitels an, welcher sich sowohl mit „Landschaften“ wie mit „Kulissen“ übersetzen lässt. Mit dem Wissen um die hier angedeutete Unechtheit verändert sich der Blick auf die Dinge – Berge erweisen sich als Erdhaufen, Feldwege als mit dem Finger durch den Sand gezogene Spuren, wohingegen Gebäude als bloße Architekturmodelle erkennbar werden. Umso erstaunlicher erscheint die hier vor Augen geführte Illusion in Anbetracht der Tatsache, dass der 1963 geborene und an der Kunstakademie Münster zunächst zum Maler ausgebildete Künstler vollständig analog arbeitet.
Thomas Wrede: Tannen (aus der Serie ‚Wrapped Landscapes‘), Lamnda-Print, Diasec auf Holzrahmen, 2004, 120 x 120 cm, © Thomas Wrede, VG-Bildkunst, Bonn, Courtesy: Beck und Eggeling, International Fine Arts | Düsseldorf | Vienna
Wredes Miniaturlandschaften gehören zu einer mit ‚Real Landscapes‘ betitelten Werkserie, die über die erwähnten Motive hinaus die Darstellungen eines nächtlichen Autokinos und eines kleinen Archipels enthält. Eine inhaltliche Konstante macht sich bei dieser Vielfalt an der Arbeit im Freien fest, wodurch sich das Tageslicht als Bestandteil der realen Welt in raffinierter Weise mit der Imitation von Wirklichkeit vermischt und das Moment der Nichtunterscheidbarkeit weiter verstärkt. Für den Fall, dass man die hier vorgenommenen Täuschungsmanöver einmal durchschaut hat, hält das übrige Programm weitere Wendungen bereit, in deren Zuge das Verhältnis zwischen Realität und Abbild immer neu variiert wird. Eine solche zeichnet sich zum einen in der tatsächlichen Verwendung kleiner Modelleisenbahnbäumchen ab, welche aufgrund der sie umgebenden Verpackung in Form von Cellophan und bedruckter Kartonage leicht als solche zu identifizieren sind. Durch gezielte Unschärfe wird hier eine ästhetische Verfremdung herbeigeführt, welche sich in einer Reihe von Strandbildern, in denen das nunmehr konditionierte Auge weitere Fakes zu erkennen meint, anhand einer leichten Überbelichtung ausmachen lässt. Dass es sich gerade bei diesen stilisiert anmutenden Aufnahmen um ‚nicht unechte’ Ansichten deutscher Nordseeküsten handelt, stellt eine Pointe dar, welche schließlich eine werkübergreifende konzeptuelle Qualität ausmacht.
Thomas Wrede: Wattwanderer mit Hunden (aus der Serie ‚Seascapes‘), C-Print Diasec, 2002, 40 x 50 cm, © Thomas Wrede, VG-Bildkunst, Bonn, Courtesy: Beck und Eggeling, International Fine Arts | Düsseldorf | Vienna
Bevor Wredes Werke anlässlich des diesjährigen Photo-Weekends in die hiesigen Räumlichkeiten gelangt sind, wurden sie bereits in einer weiter gefassten Einzelausstellung in der Wuppertaler Kunsthalle gezeigt. Der zu diesem Anlass publizierte und auch in der Galerie erhältliche Katalog enthält Texte, in denen es neben der Herausarbeitung zahlreicher kunst- und kulturhistorischer Bezüge auch zur Erörterung der Frage nach dem bildnerischen Stellenwert kommt.2 Wie Günther Kebeck in diesem Zusammenhang darlegt, lassen sich gerade die hier besprochenen Sujets im Sinne einer grundlegenden Skepsis hinsichtlich des der Fotografie zugesprochenen Wahrheitswerts deuten.3 Die in diesem Kontext ebenso herausgestellte Ineinssetzung von Dokumentation und Inszenierung weist dabei spielerisch-scharadenhafte Züge auf, welche wiederum Anknüpfungspunkte zu den oben skizzierten Überlegungen aufzeigen. So ließe sich die Art und Weise wie der konditionale Zusammenhang zwischen dem Faktor der Echtheitsanmutung und jenem eines veränderlichen Blickwinkels zum eigentlichen Thema gemacht wird, selbst im Sinne einer weiter gedachten Dialektik zwischen Spiel und mimetischer Weltaneignung verstehen. Von ein Paar aufgereihten Stühlen bis hierhin ist es wahrlich ein weiter Weg.
Thomas Wrede:
Sceneries
9. März – 11. Mai 2019
Beck & Eggeling
Bilker Str. 5
40213 Düsseldorf
Öffnungszeiten:
Dienstag – Freitag 10 – 13 und 14 – 18 Uhr
Samstag 11 – 16 Uhr