Ausstellungsansicht, Courtesy SCHÖNEWALD, Düsseldorf, Fotografie Achim Kukulies, Düsseldorf
Hegel und Rambo – Fette / Koschkarow / Lahme, Schönewald Fine Arts
Um vor dem Hintergrund der übermächtigen Online-Konkurrenz die eigenen finanziellen Überlebenschancen zu erhöhen, ist man im Bucheinzelhandel schon seit einiger Zeit dazu übergegangen, den Umsatz durch den vermehrten Verkauf sogenannter Nichtbuchmaterialien wie Schreibwaren, Schlüsselanhänger oder Spielzeug anzukurbeln. Unter diesen meist im Kassenbereich feilgebotenen Artikeln habe ich kürzlich ein parkscheibenähnliches, als „Kunstkritik-Scheibe“ bezeichnetes Utensil entdeckt, mit dem sich, durch das wechselseitige Drehen mit zahlreichen Fachbegriffen bedruckter Pappräder, nicht weniger als 50.625 „Aussagen über die Kunst“ bilden lassen. Dabei lassen sich Wortkombinationen wie „Die Abstraktion transzendiert hermetisch das Artifizielle“ oder „Der Farbauftrag evoziert fragmentarisch das Selbstreflexive“ zusammenstellen, deren Komik sich nicht nur an einer Persiflierung der kunstwissenschaftlichen Terminologie, sondern ebenso an der Tatsache festmacht, dass keinerlei Anschauungsmaterial mitgeliefert wird, auf welches sich die hier formulierten Phrasen beziehen ließen. Gleichzeitig zeigt sich, dass dem Nachdenken und dem damit verbundenen Reden und Schreiben über Kunst ein spielerisches Moment innewohnt. Die an dieser Stelle humorvoll zum Ausdruck gebrachte Idee, dass ein solches Spiel zum Selbstzweck und die Kunst dabei zur Staffage verkommen könne, steht jedoch in einem Zusammenhang mit einem durchaus ernsthaft geführten philosophisch-ästhetischen Richtungsstreit.
Wenn es um die seit Jahrhunderten erörterte Frage nach dem ideellen Stellenwert der Kunst geht, werden Friedrich Hegel und Friedrich Schiller gemeinhin als die denkbar größten Antipoden angesehen.1 Grundsätzlich ergibt sich die hier zugrunde liegende Gegensätzlichkeit daraus, dass sich künstlerische Relevanz nach Hegels Ansicht an der Veranschaulichung geistiger Ideale festmache, welche ihren höchsten Ausdruck wiederum in der Philosophie und der Poesie fänden. Der Kunst wird dabei eine utilitaristische Funktion beigemessen, wohingegen Schiller Selbige gerade über eine Abgrenzung zu utilitaristischen Gesetzmäßigkeiten definiert und als Ausdruck absoluter Autonomie wertet. Das spielerische Prinzip nimmt innerhalb beider einander konträren Positionen eine entscheidende Rolle ein – bei Hegel im Sinne einer didaktisch-dialektischen Beförderung des Geistes und bei Schiller im Sinne eines alleine der Kunst beizumessenden Erhabenheitswerts. Angesichts dessen, dass die Begriffe der Vergeistigung und der Autonomie an und für sich keine ästhetische Wertigkeit beinhalten, ließe sich fragen, inwieweit sich die von beiden Philosophen eher am Rande erörterten, formalen Faktoren eines Spiels mit künstlerischen Qualitätskriterien überein bringen lassen.
Ausstellungsansicht, Courtesy SCHÖNEWALD, Düsseldorf, Fotografie Achim Kukulies, Düsseldorf
Mit einer ansprechenden Beschaffenheit und einer intelligenten Konzeption weist ein gutes Spiel wie beispielsweise Rubiks Zauberwürfel positive Eigenschaften auf, die auch bei der Beurteilung eines Kunstwerks in den Blick gerückt werden und durch die sich zunächst auch die zur Zeit bei Schönewald Fine Arts gezeigten Arbeiten von Angela Fette, Matthias Lahme und Alexej Koschkarow auszuzeichnen scheinen. So begegnen einem bei einem Gang durch die von Katharina Fritsch kuratierte Ausstellung Action-Figuren, Roboter-Hunde oder Motive die an das traditionelle Faden- oder Hexenspiel erinnern. Letztere finden sich in den Bildern von Matthias Lahme, wobei sich bei näherem Hinsehen statt einer von Kinderhänden kunstvoll verknüpften Schnur ein Gewirr aus Rosenkränzen zeigt. Wie sich anhand der als Leitfaden für eine weitere Betrachtung geeigneten, von Heike van den Valentyn für jeden eigens verfassten Informationstexte erfahren lässt, findet sich hier ein ikonographischer Bezug auf eine Plastik des spätgotischen Bildhauers Veit Stoß, die sich in der Nürnberger Lorenzkirche befindet.
Ausstellungsansicht, Courtesy SCHÖNEWALD, Düsseldorf, Fotografie Achim Kukulies, Düsseldorf
Eine Kombination hoch- und alltagskultureller Einflüsse findet sich weiterhin in Lahmes großformatigen Papierarbeiten, innerhalb derer das kunsthandwerkliche Verfahren der Psaligraphie eine ins Monumentale übersteigerte Spielart erfährt. Dabei kristallisieren sich innerhalb der filigranen, teilweise bunt bemalten Netze totenkopfartige Physiognomien heraus, deren ominöses Hervortreten an unheimliche pareidolische Phänomene denken lässt. Ähnlich wie die überbordenden scherenschnittartigen Strukturen entstehen auch die mit „Fantastic Flowers“ übertitelten und wie nach Art einer botanischen Schautafel angeordneten Aquarelle infolge einer spontanen und intuitiven Arbeitsweise. Das Sujet einer idealisierten und stilisierten Naturerscheinung bildet gleichsam ein verbindendes Element zu den im Nebenraum präsentierten Bildern Angela Fettes, die unter anderem die farblich verfremdete Darstellung eines Fledertiers erkennen lassen. Die an Farbfeldmalerei erinnernde Gestaltung der Flügel deutet hier auf ein Spiel mit formensprachlichen Zitaten hin, welches sich konkreter anhand des besagten Motivs eines Roboterhundes nachvollziehen lässt. So findet sich dem sogenannten Animaloiden ein geometrisches Gebilde als Spielzeug beigegeben, welches Kennerinnen und Kenner als Detail aus Albrecht Dürers berühmten Kupferstich Melencolia I identifizieren mögen.
Ausstellungsansicht, Courtesy SCHÖNEWALD, Düsseldorf, Fotografie Achim Kukulies, Düsseldorf
Vor dem Hintergrund der kunsthistorischen Vorlage, welche die Ambivalenz von Genialität und Schwermut anhand eines traurigen, von wissenschaftlichen Objekten umgebenen Engels vor Augen führt, weist auch das an dieser Stelle kreierte Abbild unbelebter Intelligenz eine elegische Stimmung auf. Intensiviert wird diese durch eine suggerierte Unendlichkeit, die sich in Form abstrakter Bildräume hinter den Figuren auftut und die sich auch in einer Reihe ungegenständlicher Gemälde der Künstlerin ausmachen lässt. Über den hohen ästhetischen Eigenwert hinaus ergibt sich in der Gesamtschau ihrer Werke eine interessante Schnittmenge kulturhistorischer Implikationen, die der von Angela Fette andernorts formulierten Maßgabe, die „Trümmer der antiken Monumente einem postmodernen Energiefeld auszusetzen“ Rechnung trägt und zugleich einen naheliegenden Anknüpfungspunkt für die Betrachtung von Alexej Koschkarows bildhauerischen Arbeiten liefert.
Ausstellungsansicht, Courtesy SCHÖNEWALD, Düsseldorf, Fotografie Achim Kukulies, Düsseldorf
Diesbezüglich fallen einem als erstes Insignien des ehemals real existierenden Sozialismus’ auf, die der gebürtige Minsker in Form wuchtiger Keramiken verarbeitet und mit gleichermaßen geschichtlich konnotierten Symbolen kombiniert hat. Prominent inszeniert finden sich dahingehende Motive in Gestalt von Hammer und Sichel, welche mit der Darstellung einer Spitzhacke und eines schwarzen Zylinders den zweifach ausgeführten Trotzky Chair ergeben. Der Triumph der Arbeiterklasse, welcher in diesem Zusammenhang durch die Umfunktionierung der bourgeoisen Kopfbedeckung zur Sitzablage verdeutlicht wird, findet dabei einen ebenso allegorischen Ausdruck wie die Liquidierung des im Titel benannten Politikers. So soll der bei Stalin in Ungnade gefallene und anschließend ins Exil geflüchtete Funktionär von einem sowjetischen Agenten mit einer Spitzhacke erschlagen worden sein. Ein ähnlich martialischer wenn auch fiktiver Kontext lässt sich im Zusammenhang mit einer karikaturesk überzeichneten Darstellung des Action-Helden Rambo konstatieren, welcher in den gleichnamigen Filmen als Ein-Mann-Armee blutige Feldzüge gegen die „Rote Gefahr“ unternimmt. Angesichts dessen, dass der Kopf des Einzelkämpfers hier als Teekanne herhalten muss, scheint es allerdings so, als hätte er in Ermangelung der alten Feindbilder endgültig ausgedient.
Ausstellungsansicht, Courtesy SCHÖNEWALD, Düsseldorf, Fotografie Achim Kukulies, Düsseldorf
Koschkarows Plastiken weisen eine makellose Oberfläche, schöne Proportionen und eine sich visuell vermittelnde Gediegenheit auf, weshalb man sie gerne in die Hand nehmen würde. Dies gilt auch für eine Reihe verschiedenfarbiger Pentagramme, die ihrer Zahl nach auf die fünf Sterne der chinesischen Flagge verweisen und die passend dazu aus nachgebildetem Bambusrohr zusammengesetzt sind. Dass gerade das Symbol des Kommunismus’ als hochpreisiges Hochglanz-Artefakt an den Wänden einer international renommierten Galerie landet, könnte als ironische Anspielung auf ein dialektisches Geschichtsverständnis gedeutet werden, womit man wieder bei Hegel wäre. Ansonsten scheinen sich die Beteiligten jedoch klar der von Schiller propagierten Autonomie der Kunst verschrieben zu haben, welche ja gerade an der Düsseldorfer Kunstakademie, wo sie einst studiert haben, besonders hochgehalten wird. Dass Autonomie in diesem Zusammenhang nicht mit Hermetik und Zirkularität gleichzusetzen ist, zeigt sich anhand der zahlreichen ikonographischen und weltanschaulichen Referenzen, die sich im Einzelnen hier nur ansatzweise erläutern lassen. In jedem Fall ergeben sich im Zuge einer dahingehenden Beschäftigung bunte Assoziationsketten, welche je nach subjektiver Wahrnehmung unterschiedlich aussehen dürften. Ähnliches ließe sich vermutlich auch über den hier ein wenig aufs Geratewohl vor sich hin postulierten Rezeptionsansatz behaupten. Der Mensch ist eben nur da ganz Mensch, wo er spielt.
Angela Fette, Alexej Koschkarow, Matthias Lahme:
Fette / Koschkarow / Lahme
19. Januar – 23. Februar 2019
Schönewald Fine Arts
Lindenstr. 182
40233 Düsseldorf
Öffnungszeiten:
Dienstag – Freitag 10 – 18 Uhr
Samstag 11 – 15 Uhr
Lernen Sie mit uns die Düsseldorfer Galerienszene kennen! Artesarticulo ist ein Verbund langjährig erfahrener Kunstvermittler/innen, die sich die Erkundung der aktuellen Ausstellungen im Zuge individueller Rundgänge zur Aufgabe macht. Diese werden in Kooperation mit der Düsseldorf Tourismus GmbH auch in Form öffentlicher Führungen angeboten.
Fußnoten
- Vgl. Böhler, Michael J.: Die Bedeutung Schillers für Hegels Ästhetik in: PMLA, VOL. 87, NO. 2 (März 1972) S. 182-191.
Vgl. Schneider, Norbert: Geschichte der Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne, Stuttgart 1996, S. 57 ff. und S. 80 ff..
Als Inkunabeln eines modernen Kunstverständnisses werden die ästhetischen Konzeptionen beider Autoren auch in Christian Demands Buch Die Beschämung der Philister (Hannover 2007) behandelt. Entgegen gängiger Auffassungen kommt der Kunsthistoriker dabei zu dem Schluss, dass Schillers Kunstverständnis einer Aufweichung objektiver Qualitätskriterien und somit auch einer Unberechenbarkeit des modernen Kunstmarkts Vorschub geleistet habe, wohingegen Hegels Position im Sinne einer strengeren kunsthistorischen Ausrichtung ausgelegt und als möglicher Ausweg aus der hier konstatierten Krise verstanden wird.