Johannes Post (c), Melt, 2012/15, Detailansicht, Courtesy Galerie am Meer, Foto: Oliver Schönemann
Pizza Minolta mit doppelt Käse –
Raphael Brunk und Johannes Post: neu ist alles was ich habe, Galerie am Meer
1979 veröffentlichte der britische Schriftsteller Douglas Adams seinen Debutroman Per Anhalter durch die Galaxis.1 Das an turbulenter Handlung überreiche Buch schildert unter anderem, wie Außerirdische einen Supercomputer entwickeln, der im Zuge einer 7,5 Millionen Jahre andauernden Rechenoperation die Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ ermittelt. Das mit Spannung erwartete Resultat lautet „42“, was die mit der Ergebnisauswertung betrauten Spezialisten vor die unlösbare Frage nach dem mittlerweile längst wieder vergessenen Wortlaut der ursprünglichen Frage stellt. Aus diesem Anlass trifft man daraufhin die Entscheidung, einen noch leistungsfähigeren Computer zu bauen, der die Frage nach der Frage in einem 10 Millionen Jahre andauerndem Rechenvorgang klären soll. Bei diesem Computer handelt es sich um den Planeten Erde, wobei ein Großteil der darauf beheimateten Organismen einschließlich der Menschheit ohne ihr Wissen als eine Art Bot-Netzwerk genutzt wird.2
Ungefähr zeitgleich mit dem Erscheinen der humoristisch überspitzten Sci-Fi-Dystopie trat ein junger Soziologe namens Bruno Latour mit einer Publikation hervor, die den Ausgangspunkt für eine später unter der Bezeichnung Akteur-Netzwerk-Theorie berühmt gewordene Konzeption bilden sollte.3 Signifikante Grundzüge des in der ANT formulierten Ansatzes bestanden zunächst darin, dass Menschen und Dinge gleichermaßen zum Gegenstand soziologischer Untersuchung gemacht und als einander äquivalente Akteure innerhalb dahingehender Strukturen und Sachverhalte behandelt wurden.4 Demnach sollte auch den Funktionsweisen von Dingen ein am individuellen Zweck gebundener moralischer Wert zukommen können, wie er gemeinhin nur menschlichen Handlungen beigemessen wird. Im Zusammenhang mit der damit einhergehenden Redefinition einer Sache vom Objekt zum Subjekt, konnte es auch bei der Interaktion zwischen Mensch und Ding zu dialektischen Umkehrungen der Subjekt-Objekt-Relation kommen.
Raphael Brunk (c), img094, 2018, Print auf Leinwand, 45×60 cm, Courtesy Galerie am Meer, Foto: Oliver Schönemann
Anknüpfend an eine derart rudimentäre Skizzierung ließen sich durchaus Parallelen innerhalb der beiden einander hier gegenübergestellten Narrative ziehen. So avanciert auch in der oben angerissenen Handlung ein Ding vom dominierten zum dominanten Faktor, dessen Betätigung mit der Erschaffung der Erde eine Handlung von beträchtlichem moralischem Wert nach sich zieht, während die Menschheit im Kontext dieser Handlung eine passiv ausführende Funktion einnimmt. Allerdings lässt sich die ANT ohnehin auf fast jedes Szenario anwenden, in dem Menschen mit Gegenständen hantieren, was auch ein Grund dafür sein mag, dass sich halbgare Verweise in diese Richtung über Jahre als kunstvermittlerische Blendgranate angesichts konzeptkünstlerischer Luftnummern bewährt haben.
Aufgrund der extremen Beliebigkeit, die dieser Form der Analogiebildung anhaftet, stellt sich die Frage, inwieweit sich keine konkreteren, befriedigenderen Wege der theoretischen Ineinssetzung finden. Einer alternativen Lesart zufolge könnte der Riesencomputer auch eine künstlerische Position bezeichnen, während die Antwort „42“ den dieser Position inhärenten, superschwammigen Latour-Bezug repräsentiert. Weiterhin ließe sich der Planet Erde an die Stelle des Rezipienten setzen, wohingegen die 10 Millionen Jahre für den Zeitraum stünden, den Selbiger benötigt, um das rund vierhundertfünfzigseitige Referenzwerk des besagten Star-Intellektuellen zu lesen und die im Zusammenhang mit dem Kunstwerk behaupteten Implikationen auf ihre Konsistenz und ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Alles in allem also ein Vorgang, der im Verhältnis zu einem enormen Aufwand einen bestenfalls verschwindenden Mehrwert generiert.
Johannes Post (c), HEL, 2015/18, C-Print, Diasec, je 150 x 100 cm, Courtesy Galerie am Meer, Foto: Oliver Schönemann
Hier zeichnet sich ein Dilemma ab: je exponierter die oben erläuterten Bezüge als Ausweis diskursiver Relevanz hervorgekehrt werden, desto weniger haben sie faktisch mit dem gemeinsam, worauf sie verweisen. Im gleichen Maße wie die Funktionen der von Latour beschriebenen Netzwerke keinem Selbstzweck unterliegen, kann sich auch durch einen Bezug auf die ANT, der letztlich auf nichts anderes als auf seine eigene Bezogenheit schließen lässt, keine sinnvolle Korrelation zur zugrunde liegenden Bezugsposition manifestieren.
Eine ähnliche Situation lässt sich bezüglich eines weiteren Latourschen Kerntopos’ konstatieren. Dabei wird, unter Einbeziehung zentraler Konklusionen innerhalb der ANT, die Inkompatibilität unterschiedlicher Wissensbereiche untersucht und als Merkmal einer uneingestandenen zivilisatorischen Rückständigkeit herausgestellt.5 Was läge näher, als solcherlei Ideen als Anregungen zu mehr oder weniger interdisziplinär ausgerichteten Ansätzen im Bereich der bildenden Kunst wahrzunehmen und auf diese Weise einen Anschein großer Fortschrittlichkeit zu erzeugen? Besonders gut funktioniert dies, wenn progressive Ansätze wie z.B. im Bereich der Neurowissenschaften, des Bioengineerings oder der KI-Forschung zum Thema gemacht und vermeintliche Schnittstellen zu entsprechenden Bereichen auf vermeintlich kongeniale Art bespielt werden. Vermeintlich deswegen, weil sich Fortschrittlichkeit in den entsprechenden Disziplinen wie auch im Kontext jeder anderen Wissenschaft an keinem anderen Kriterium als an jenem des empirischen Erkenntnisgewinns festmacht, welcher sich in den meisten Fällen jedoch nicht offenbaren mag. Äußerlich vergleichsweise unspektakuläre Vorgänge können sich unter dieser Prämisse als wesentlich ergiebiger erweisen als jene, im Zuge derer beeindruckendes Beiwerk aufgefahren wird.
Raphael Brunk (c), Disturb_66, 2017, 120 x 160 cm, C-Print, Diasec, Courtesy Galerie am Meer, Foto: Oliver Schönemann
In der Galerie am Meer findet derzeit eine Ausstellung statt, die nicht nur einer unter solcherlei Gesichtspunkten differenzierten Betrachtung lohnt. Gezeigt werden Werke von Raphael Brunk und Johannes Post, die aus einer Erschließung fotografischer Grenzbereiche auf Grundlage eigens herbeigeführter Ausgangssituationen und selbstständig erarbeiteter Fragestellungen hervorgehen. Brunk hat zunächst Politikwissenschaften, Philosophie und Psychologie studiert und ist 2013 an die Düsseldorfer Kunstakademie gegangen, wo er unlängst als einer von Andreas Gurskys letzten Meisterschülern reüssiert hat. Von einer struffskyesken Landschafts- und Architekturmotivik ausgehend, hat er einen weiten und von langer Hand organisierten Schritt in die virtuelle Umgebung sogenannter Third-Person-Shooter gemacht, wobei er die hier erlebbare Realität nicht lediglich abbildet, sondern mit Hilfe einer exklusiv für ihn programmierten Software hackt und zum Werkstoff einer freien bildnerischen Arbeit transformiert. Der dabei erzielte Effekt besteht in einer Aufbrechung von Raumgrenzen, die den Blick durch Wände, Decken und Böden öffnet, außerhalb des vorgesehenen Bewegungsradius’ liegende Bereiche zugänglich macht und so ungewohnte optische Konfigurationen und Perspektiven entstehen lässt. Im Zuge weiterer Werkphasen hat er diese Methodik weiterentwickelt und um zusätzliche Kunstgriffe wie die Verwendung einer Stitch-Software ergänzt. Entgegen der herkömmlichen Verwendung speist er das zur Synthetisierung eines Gesamtbildes aus Einzelaufnahmen dienende Programm mit nicht zueinander passenden Daten, was gleichermaßen interessante wie unvorhersehbare Brüche und Verzerrungen erzeugt.
Raphael Brunk (c), img086, 2018, 180 x 135 cm, Print auf Leinwand, Courtesy Galerie am Meer, Foto: Oliver Schönemann
Die Vollendung des auf dem Videospiel „Grand Theft Auto“ basierenden Zyklus’ dementsprechend verfremdeter und neuarrangierter Screenshots markiert einen Wendepunkt, an dem das Initiieren unsachgemäßer Bildgebungsvorgänge endgültig vom modifizierenden zum konstituierenden Akt wird. Brunk fertigt fortan Scans an, wobei er überwiegend auf die 1960er und 1970er Jahre datierende Illustrationen als Ausgangsmaterial verwendet und Reproduktionsfehler nach malerischer Manier als figurative Bildinhalte in die Vorlage integriert. Von den eher sachlich-dokumentarischen Anfängen bis zu dieser werkbiographischen Zäsur lässt sich anhand der zahlreichen hier gezeigten Werke eine Entwicklung nachvollziehen, innerhalb derer sich eine durch ungebrochene Experimentierfreude ausgelöste Verselbstständigung der Technik abzeichnet.
Johannes Post (c), Arsenal, 2017, C-Print, 169 x 148,5 cm, Courtesy Galerie am Meer, Foto: Oliver Schönemann
Der dabei anklingende positive Grundtenor steht in inhaltlicher Diskrepanz zu einem in Johannes Posts Arbeiten bisweilen brachial zu Tage tretenden Technoskeptizismus. Ein zur Straße hin präsentiertes, über die gesamte Fläche des Galerieschaufensters reichendes Bild zeigt ein in Form eines Axtblatts geschnittenes iPad in einem menschlichen Knie stecken. Eine ähnlich martialische Zweckentfremdung lässt sich anhand eines weiteren prominent platzierten Werks erkennen, in dem vergleichbare Hardware nebst Zubehör wie nach Art eines Waffenarsenals präpariert und arrangiert erscheint. Wie bei genauerer Betrachtung festzustellen ist, scheinen sich die zur Schau gestellten Utensilien aber nur bedingt für verhängnisvolle Zwecke instrumentalisieren zu lassen – während das zur Gladiatorenmaske umfunktionierte Tablet-Display Risse aufweist, ist das als Speerspitze auf eine Stange montierte Smartphone zerbrochen. Eine weitere sinnbildliche Entsprechung findet der Übergang vom hochtechnisierten Rüstzeug zum obsoleten Elektroschrott schließlich in Gestalt von säuberlich über die Apparaturen drapierter Schmutzwäsche.
Johannes Post (c), Melt, 2012/15, Courtesy Galerie am Meer, Foto: Oliver Schönemann
An anderer Stelle greift eine installative Arbeit die hier vor Augen geführte Thematik von Schnelllebigkeit und Wertverlust wieder auf. Dafür hat Post wiederum ein Ensemble aus einem weißen Pult und sechs an der Wand befestigten Objekten geschaffen. Bei den reliefartigen Gebilden hat es sich mal um analoge Spiegelreflexkameras gehandelt, die sich im Zuge der rasant fortschreitenden Digitalisierung als nicht mehr zeitgemäß herausgestellt haben und in der Folge vom Künstler in einem Stahlwerk eingeschmolzen und in rechteckige Tafeln gegossen lassen wurden. Passend dazu werden auf dem Pult maßgerechte Styroporverpackungen bereitgestellt, was den Eindruck eines mediamarktmäßigen Direktmitnahme-Angebots vermittelt.
Besonderes Aufsehen hat der gebürtige Neusser mit einem Projekt erregt, bei dem er das gesamte Mobiliar des elterlichen Wohnzimmers in horizontale Scheiben gesägt und nach Art einer Magnetresonanztomographie erfasst hat. Das Ergebnis besteht in einer Serie von Scanografien, die gerade aufgrund ihrer abstrakten Anmutung einen hohen Anschauungswert haben und zugleich eine elaborierte gonzowissenschaftliche Programmatik erkennen lassen. So wie Raphael Brunks Werke gründen auch die von Johannes Post zunächst auf didaktisch-empirischen Arbeitsweisen, in deren Zuge der eigene Lebensbereich zum Forschungsfeld erhoben wird. Dies bedingt sowohl die Individualität, wie auch die am tatsächlichen Wissenszuwachs gemessene Progressivität der hier vollzogenen Ansätze. Beide lassen sich dabei auf Situationen und Prozesse ein, in denen die von Ihnen untersuchten Gegenstände weitere Verläufe determinieren. Die Art und Weise wie dies geschieht zeigt stringente Übereinstimmungen zu den oben erläuterten theoretischen Ausführungen auf, weshalb sich die hier entwickelten Konzeptionen gut als Blaupause einer dahingehenden Lektüre eignen. Die Ausstellung findet im Zusammenhang mit den jüngst veranstalteten Fotofestivals statt, in deren Rahmen es viel Einheitliches und ähnlich schon Dagewesenes zu sehen gab. Wenn die zuletzt zum Ziel erklärte „Stärkung von Düsseldorfs Rang als Fotometropole“ nicht nur nach quantitativen Maßstäben erreicht werden soll, könnte die Präsenz solcher Positionen förderlich sein.
Raphael Brunk und Johannes Post
neu ist alles was ich habe
16. Februar – 13. April 2018
Galerie am Meer
Worringer Str. 57
40211 Düsseldorf
Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Samstag 14h-22h
Lernen Sie mit uns die Düsseldorfer Galerienszene kennen! Artesarticulo ist ein Verbund langjährig erfahrener Kunstvermittler/innen, die sich die Erkundung der aktuellen Ausstellungen im Zuge individueller Rundgänge zur Aufgabe macht. Diese werden in Kooperation mit der Düsseldorf Tourismus GmbH auch in Form öffentlicher Führungen angeboten.
Fußnoten
- Adams, Douglas: The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy, New York 1979.
- Das Projekt scheitert schließlich, weil eine weitere extraterrestrische Spezies den Planeten fünf Minuten vor Ablauf der Rechenprozedur in die Luft sprengt, wodurch es zur Ausgangssituation für die Weltraumabenteuer der dem Weltuntergang entronnenen Hauptfiguren kommt.
- Latour, Bruno / Woolgar, Steve: Laboratory Life. The Social Construction of Scientific Facts, Beverly Hills 1979.
- Vgl. Latour, Bruno: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt am Main 2007.
- Vgl. Latour, Bruno: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Berlin 1995.