Ausstellungsansicht, ©Jim Lambie, Courtesy Konrad Fischer Galerie, Foto: Achim Kukulies
Polychrome Rhizome – Jim Lambie:
Both Ends Burning, Konrad Fischer Galerie
Die Erfindung des iPhones ermöglicht es mir, ausländische Radiosender in digitaler Qualität zu hören. Als besondere Bereicherung hat sich diesbezüglich BBC6 erwiesen, das sich über eine schicke und benutzerfreundliche App abrufen lässt. Einige der dort auftretenden DJs wie Tom Ravenscroft, Stuart Maconie oder der auch als Sänger nicht ganz unbekannte Jarvis Cocker sind wahre Pop-Archäologen, die im Rahmen ihrer Sendungen unterhaltungsmusikalische Ausgrabungsfunde aus diversen Regionen und Epochen präsentieren. Dem Aktualitätsbezug wird dabei, ebenso wie der in Deutschland vergleichsweise dogmatisch betriebenen Scheidung von Mainstream und Avantgarde, eher geringe Relevanz beigemessen. Von den Pet Shop Boys bis zu Throbbing Gristle oder noch wesentlich exklusiverem Kram bildet das gesamte hier gespielte Programm ein in viele Richtungen offenes Kontinuum. Gemäß dieser inhaltlichen Ausrichtung läuft auch einiges aus den frühen 90er Jahren, die eine goldene Ära des britischen Pop und eine grundsätzlich schöne Phase waren, um musikalisch sozialisiert zu werden. Damalige Platten von Pulp, den Stone Roses oder Primal Scream gehörten auch zum sprichwörtlichen Soundtrack meines Erwachsenwerdens, wobei eine Identifikation mit diesen Bands auch mit einer über die persönlichen Hörgewohnheiten hinausgehenden Attitude einherging. Das begann mit einer adäquaten Außenerscheinung – Retro gab es noch nicht von der Stange, weshalb eine stilgerechte Garderobe nur auf einem liebevoll kultivierten und ganzheitlich gelebten Individualismus beruhen konnte, der es einem erlaubte, verächtlich auf Menschen mit weniger erlesenem Geschmack herabzuschauen. Abgesehen vom eigentlichen Tonträger materialisierte sich die Popkultur noch in einer größeren Vielfalt haptischer Gegenstände wie gedruckter Coverartworks, Booklets, T-Shirts oder Fanzines. Das Ineinandergreifen von musikalischer und bildnerischer Kreativität beruhte gerade in Großbritannien auf einer Tradition, die von kunstakademisch sozialisierten Größen wie Stuart Sutcliffe, David Bowie oder Brian Ferry begründet und weitergeführt worden war.
Es war eine bunte und interessante Zeit, die noch bunter und interessanter erscheinen konnte, wenn man sich an dem von einigen der hier erwähnten Künstlern eindrücklich zur Schau gestellten Konsum wahrnehmungsverändernder Substanzen ein Beispiel nahm. Als waghalsige Option bot sich da der Verzehr psychoaktiver Pilze an, die sich auch innerhalb der heimischen Flora finden ließen und von denen es damals hieß, dass sie in üppiger Fülle auf einem damals noch existierenden Truppenübungsgelände am Aaper Wald gedeihten. Um mir diesen vielversprechenden Ort anzuschauen, unternahm ich damals selbst an einem nieseligen Herbstnachmittag einen Ausflug ins Grüne. Die weitläufige Wiese, auf der sonst Bundeswehrrekruten durch den Schlamm robbten, wurde von ein Paar psychedelisch angehauchten Gestalten auf die halluzinogenen Gewächse hin abgesucht. Da mir die ganze Situation ein wenig suspekt erschien, entschied ich mich spontan dagegen, mich an dieser Suche zu beteiligen, was ich im Nachhinein nicht bedauere. Später habe ich gelesen, dass bestimmte Pilzsorten kilometerweite Wurzelnetze in Form sogenannter Myzelien ausbilden und dass es sich bei einigen dieser Verflechtungen um die größten der Wissenschaft überhaupt bekannten Lebewesen handelt.
I Can See Clearly Now, 2018, Sonnenbrillengläser, Blei, 37 x 42 x 5 cm, ©Jim Lambie, Courtesy Konrad Fischer Galerie
Der Eindruck biomorpher Clusterstrukturen ergibt sich auch im Zusammenhang mit Objekten, die zur Zeit an den Wänden der Konrad Fischer Galerie hängen. Es handelt sich dabei um neue Werke von Jim Lambie, der vor seiner Laufbahn als bildender Künstler in der oben erläuterten Brit-Pop-Szene involviert war. Genauer gesagt betätigte sich der gebürtige Glasgower als zwischenzeitliches Mitglied der Band Boy Hairdresser, die nach ihrer späteren Umbenennung in Teenage Fanclub zu internationalem Ruhm kam. Seitdem hat Lambie ein vielgestaltiges und vielfarbiges Œuvre hervorgebracht, welches dezidierte Anklänge zur Pop-Ästhetik im Allgemeinen und zu typischen popkulturellen Accessoires im Speziellen erkennen lässt. Für die besagten, derzeit in Flingern zu besichtigenden Arbeiten hat der Künstler verschiedenfarbige Gläser von Sonnenbrillen in Bleiruten eingefasst und zu unregelmäßigen, ein wenig an Zellansammlungen erinnernden Gebilden zusammengefügt.
Ausstellungsansicht, ©Jim Lambie, Courtesy Konrad Fischer Galerie, Foto: Achim Kukulies
Die Idee des Organisch-Symbiotischen macht sich nicht nur an der äußeren Form, sondern auch am homogenen Zusammenfließen weiterer interkultureller Bezüge fest. Während die eine Werkgruppe an eine ins Temporäre übertragene Spielart traditioneller Bleiverglasung nach Art des britischen Jugendstils denken lässt, erscheint eine Reihe weiterer Plastiken auf den ersten Blick wie eine koloristisch aufgepeppte Version von Donald Judds Specific Objects. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die länglichen, gleichermaßen an der Wand befestigten Quader aus schmalen Fragmenten klassischer Kassettentüren gefertigt wurden, woran sich eine im Vergleich zur Minimal-Art-Position weniger unpersönliche Qualität festmacht. Vor dem Hintergrund einer Vielzahl vergleichbarer Referenzen, die auch in einem Katalogtext ausgiebig erörtert werden, zeichnet sich ein Kulturverständnis ab, das eine hohe Durchlässigkeit hinsichtlich der Grenzen zwischen den Kunstgattungen wie auch zwischen der Hoch- und der Alltagskultur voraussetzt1. Die an dieser Stelle vor Augen geführte Diversität schlägt sich indes auch in einer über den künstlerischen Bereich hinausgehenden Tätigkeit nieder. Seit 2012 betreibt Lambie in seiner Heimatstadt einen Club, in dem neben Konzerten und Ausstellungen auch Spoken-Word-Performances von Leuten wie Patti Smith, John Giorno und Richard Hell stattfinden.
Ausstellungsansicht, ©Jim Lambie, Courtesy Konrad Fischer Galerie, Foto: Achim Kukulies
Wie im Begleittext bereits verdeutlicht wird, bedient die hier formulierte Position nur sehr bedingt die im Kunstkontext gängigen Rezeptionsansätze. In Abgrenzung zur Warholschen Pop-Art, deren Bedeutungsgehalt sich auch in dialektischer Umkehrung zu einer nicht vorhandenen Sinntiefe ergibt, konstituiert sich in Lambies Werk eine hybride Formensprache, die sich ohne derlei Hintergründigkeiten aus einem unschätzbaren und unüberschaubaren Kulturerbe speist. Die an Songs angelehnten Werktitel zeigen dabei umso vielfältigere Bezüge auf, deren sorgfältige Aufdröselung den Betrachterinnen und Betrachtern überlassen bleibt.
Das Englische besitzt von allen Sprachen auf der Welt das umfangreichste Vokabular, was daran liegt, das alte Begriffe nicht von Neuen verdrängt, sondern zu einem stetig erweiterten und täglich anwendbaren Wortschatz akkumuliert werden. Ähnlich verhält es sich mit popkulturellen Inhalten, die in ebenso nachhaltiger Weise ins kollektive Gedächtnis einsortiert werden. An dahingehenden soziokulturellen Faktoren macht sich gleichsam ein Subtext fest, der innerhalb der aktuellen Ausstellung auf universelle Art zum Ausdruck kommt und der einen zeitnahen Besuch der Konrad Fischer Galerie in mehrfacher Hinsicht zu einem interessanten Erlebnis macht.
Jim Lambie
Both Ends Burning
16. März – 12. Mai 2018
Konrad Fischer Galerie
Platanenstr. 7
40233 Düsseldorf
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Freitag 11h-18h
Samstag 11h-14h