Matthias Noggler: Iterations

Kommentare 0
Allgemein
Matthias Noggler: Formation (back view), 2023, Gouache auf Leinwand, 120 x 200 cm, Courtesy of the artist and Drei, Cologne

Durchs wilde Ikonographistan – Matthias Noggler: Iterations, Drei

Je ver­schwen­de­ri­scher uns die Welt da­zu An­lass of­fe­riert, un­se­ren Ver­stand zu ver­lie­ren, als des­to un­op­por­tu­ner scheint es sich zu er­wei­sen, sich be­züg­lich da­hin­ge­hen­der Un­päss­lich­kei­ten die ge­ring­ste Blöße zu ge­ben. Häu­fi­ger als noch vor Kur­zem sieht man je­den­falls Men­schen die, gleich­wohl in Er­man­ge­lung sicht­ba­rer Ge­sprächs­part­ner, laut­hals ar­ti­ku­lie­rend den öf­fent­li­chen Raum durch­strei­fen. Ei­ni­ge tra­gen Head­sets, An­de­re schimp­fen ein­fach mit der Luft, wo­bei sich über die­je­ni­gen mit den Head­sets auch nicht si­cher sa­gen lässt, ob sie sich Sel­bi­ge nicht nur zur Tar­nung auf­ge­setzt ha­ben. In ei­ner ir­ren Welt wer­den die Ir­ren zu Spe­zia­lis­ten, hat Hun­ter S. Thom­pson mal be­haup­tet und viel­leicht wer­den der­lei Ka­te­go­rien oh­ne­hin hin­fäl­lig wer­den, wenn die KI ei­ne La­wi­ne nun­mehr nicht ve­ri­fi­zier­ba­rer Trug­bil­der auf uns los­lässt und die Wahr­heit zu ei­ner ar­bi­trä­ren Größe von vie­len er­klärt. Bis jetzt ge­stal­tet sich der ChatGPT-Zir­kus als first-world-spe­zi­fi­sche Zau­ber­lehr­lings­num­mer mit mul­mi­gen Im­pli­ka­tio­nen, die dem Un­ter­hal­tungs­wert kei­nen Ab­bruch tun, zu­mal man sich in­mit­ten al­len End­zeit­ge­rau­nes auch nicht lang­wei­len möch­te. So­lan­ge kei­ner mehr fragt, wel­ches Fort­schritts­ver­ständ­nis wel­chem Dis­tink­tions­ge­bah­ren zu­grun­de liegt, wun­dert es nicht, dass ein Com­pu­ter, wie im Fall ak­tu­ell im­mer zahl­rei­che­rer An­läs­se, auch den Job ei­nes Kunst­tex­ters über­nimmt. Dass das da­bei zu Ta­ge Ge­för­der­te kei­nen Blu­men­topf ge­winnt, ist da­bei we­der der sprin­gende Punkt und auch nichts, wo­ran sich kurz­fris­tig nicht ar­bei­ten ließe. So wie ge­ge­be­nen­falls die KI be­kom­men auch Kunst­er­klä­rer*in­nen voll­en­de­te Tat­sa­chen vor­ge­setzt, um da­raus oder da­rum ei­ne Sinn­kon­struk­tion zu bau­en.

Matthias Noggler: Balcony, 2021, Gouache und Bleistift auf Papier, 119,5 x 121,5 cm, Courtesy of the artist and Layr, Vienna

Un­ge­ach­tet der Fra­ge, ob man es mit ei­nem Ge­bil­de aus Si­li­zium­lei­tern oder Ami­no­säu­ren zu tun hat, be­zeich­net man als „nicht­tri­via­le Ma­schi­nen“ in der So­zio­lo­gie Sys­te­me, die in dem Sin­ne lern­fä­hig sind, als dass die Sum­me des ak­tu­ell von ih­nen Ge­lern­ten mo­di­fi­zie­rend in wei­te­re Ent­schei­dun­gen und Ver­hal­tens­wei­sen, ein­schließ­lich des suk­zes­si­ven Lern­pro­zes­ses selbst, ein­fließt. So, wie es sich bei ei­ner Masch­ine um et­was ganz und gar Durch­funk­tio­na­li­sier­tes han­delt, mag auch ei­ne in die­se Rich­tung ge­hen­de Vor­stel­lung des ei­ge­nen Denk­ap­pa­rats, die ei­ne ziem­li­che Nä­he zu dem auf­weist, was Roland Barthes über den Tod des Au­tors ge­schrie­ben hat, als reiz­voll, wenn auch im Hin­blick auf die nun ein­ge­tre­te­ne Ra­di­kal­va­ri­an­te als we­ni­ger er­stre­bens­wert und bis zu­letzt auch als eher un­re­a­lis­tisch er­schie­nen sein. Wer sich, auch um ge­gen­über sol­chen und wei­te­ren nicht min­der denk­wür­di­gen Ten­den­zen ein Min­dest­maß an Be­son­nen­heit bei­zu­be­hal­ten, Me­di­ta­tion zur An­ge­wohn­heit ge­macht hat, kennt wo­mög­lich das Mo­tiv des Beginner’s Mind, wel­ches zu­nächst auf der Ein­sicht be­ruht, dass man nicht ist, was man denkt und in der Maß­ga­be mün­det, durch das Auf­ge­ben ein­mal ver­in­ner­lich­ter Denk­wei­sen al­les, d. h. auch die ei­ge­nen psy­chi­schen Re­gun­gen, bes­ten­falls im­mer und im­mer wie­der mit neu­en Au­gen se­hen zu können.

Matthias Noggler: Untitled, 2019, Gouache und Bleistift auf Papier, 59 x 59 cm, Courtesy of the artist and Layr, Vienna

Bis­wei­len kom­men ei­nem Kunst­wer­ke un­ter, die ei­nem ge­fal­len und zu de­nen ei­nem den­noch oder viel­leicht ge­ra­de des­we­gen nichts Schlau­es ein­fällt, außer viel­leicht der Ein­sicht, dass nicht je­des Mo­ment äs­the­ti­scher An­mu­tung da­zu an­ge­tan ist, ir­gend­wie in te­le­o­lo­gi­sche Leit­plan­ken hi­nein­ge­zwängt zu wer­den. Es stellt sich ein Pa­ra­do­xon ein, wenn die Be­trach­tung von Kunst­wer­ken da­zu ein­lädt, et­wa­ige kunst­wis­sen­schaft­li­che Au­to­ma­tis­men fürs Ers­te zu Ver­ges­sen, wo­bei das Zu­las­sen die­ses Pa­ra­do­xons ü­ber­haupt erst die Ü­ber­le­gung na­he­legt, ob für ei­ne da­hin­ge­hen­de re­zep­tions­äs­the­ti­sche Hal­tung nicht auch so et­was wie his­to­ri­sche Vor­bil­der exis­tie­ren. Gün­sti­ger­wei­se muss man da­bei ei­gent­lich gar nicht lan­ge su­chen, zu­mal sich mit De­nis Di­de­rot gleich ein maß­geb­li­cher Mit­be­grün­der der Text­gat­tung Kunst­kri­tik und zu­gleich ei­ne Schlüs­sel­fi­gur der neu­zeit­li­chen Kul­tur­ge­schich­te als ve­ri­tab­les Pa­ra­de­bei­spiel he­raus­stellt. Sinn­bild­lich könn­te man von die­sem Haupt­i­ni­tia­tor der fran­zö­si­schen Auf­klä­rung wie von ei­nem Schwamm spre­chen, wel­cher schlicht­weg je­de in­tel­li­gib­le In­for­ma­tion auf­zu­neh­men und zu ei­nem heu­te noch ganz ge­dan­ken­frisch da­ste­hen­den Ge­samt­werk zu ver­flech­ten im­stan­de war. Viel­leicht muss ein Ge­dan­ken­gang, der die Kri­te­rien des Kunst­schö­nen adä­quat ins Sprach­li­che ü­ber­setzt, oh­ne es for­mal­äs­the­tisch fest­zu­na­geln oder durch das Ab­drif­ten in all­zu her­me­ti­sche Sphä­ren der Re­dun­danz an­heim­zu­fal­len, selbst von an­spre­chen­der Na­tur sein und viel­leicht be­steht ge­ra­de da­rin das be­son­ders Her­vor­he­bens­wer­te an Di­de­rots Über­le­gung, wo­nach die Qua­li­tät ei­nes Kunst­werks sich in der Ge­samt­heit der da­rin ent­hal­te­nen und sei­ner gleich­sam nach au­ßen hin ein­ge­gan­ge­nen Be­zie­hun­gen ma­ni­fes­tiert.1

Matthias Noggler: Tempest,2020, Gouache und Bleistift auf Papier, 82,2 x 54,5 cm, Courtesy of the artist and Layr, Vienna

Es gibt gu­te und schlech­te Be­zie­hun­gen, wo­bei Ers­te­re, zu­min­dest auf lan­ge Sicht, auch auf Ar­beit be­ru­hen, die na­tur­ge­mäß nur auf hin­ge­bungs­vol­le Wei­se von­stat­ten ge­hen kann. Über­trägt man die­sen All­ge­mein­platz auf Be­zie­hun­gen als Su­jet küns­tle­risch-bild­ne­ri­scher Tä­tig­keit, so er­scheint Di­de­rots oh­ne­hin recht ein­leuch­ten­des Pos­tu­lat, wo­nach Ma­le­rin­nen und Ma­ler zu­al­ler­erst gut ma­len kön­nen soll­ten, um­so sinn­fäl­li­ger. Legt man die­ses Kri­te­ri­um wie­de­rum bei der Aus­schau nach ak­tu­ell in rhei­ni­schen Ge­fil­den in Er­schei­nung tre­ten­den Küns­tle­rin­nen und Küns­tlern zu­grun­de, dann ließe sich, wie­wohl als eine*r von vie­len, auch der ös­ter­rei­chi­sche Ma­ler Matthias Noggler in nä­he­ren Au­gen­schein neh­men. Eine bis­he­ri­ge werk­bi­o­gra­phi­sche Ü­ber­sicht ver­mit­telt den Ein­druck, dass der mit­tler­wei­le in Ber­lin le­ben­de Ab­sol­vent der Wie­ner Kunst­ge­wer­be­schu­le und Kunst­a­ka­de­mie ei­nen sym­pa­the­ti­schen Blick für sei­ne le­bens­welt­li­che Um­ge­bung ü­brig hat. Men­schen und Or­te, an wel­chen sich sol­che auf­hal­ten, wer­den hier äs­the­tisch ge­büh­rend ab­ge­fei­ert und zur mo­ti­vi­schen Vor­la­ge für ei­ne iko­no­gra­phi­sche Any­thing-goes-Pro­gram­ma­tik ge­macht. Es fin­det al­so ein ziem­li­ches Feu­er­werk an In­ter­ak­tio­nen statt, im Zu­ge de­rer, wohl­ge­merkt sub­jek­tiv als sol­che wahr­ge­nom­me­ne Be­zugs­größen wie El Greco, Pier­re Bon­nard, Paul De­lau­nay oder auch die Wie­ner Schu­le des Phan­ta­sti­schen Re­a­lis­mus auf­bli­tzen bzw. als for­men­sprach­li­che Blau­pau­sen zeit­ge­nös­sisch-fi­gu­ra­ti­ver Dar­stel­lun­gen ins Werk ge­setzt wer­den. Dass ei­nem das auf die­sem We­ge Ent­stan­de­ne bei all sei­ner Dich­te an da­hin­ge­hen­den Re­fe­ren­zen kein an­stren­gen­des Seh­er­leb­nis be­schert, liegt nicht zu­letzt an ei­ner au­gen­schein­li­chen Bei­läu­fig­keit, die im Ü­bri­gen auf ei­nen ent­spann­ten Um­gang mit et­wa­i­gen Be­rüh­rungs­punk­ten zu ei­ner ge­mein­hin eher im Be­reich der Tri­vial­kul­tur, sprich Co­mic und Ka­ri­ka­tur, ver­or­te­ten Äs­the­tik schließen lässt.

Ausstellungsansicht Matthias Noggler, Courtesy of the artist and Drei, Cologne

Ein­ge­denk der Ab­lö­sung ei­nes ein­heit­li­chen Epo­chen­stils durch eine Viel­zahl gleich­zei­tig vor­herr­schen­der und ih­rer­zeit bis­wei­len als „Ismen“ pe­jo­ri­sier­ter Sti­le, zeich­net sich auch das Früh­werk ei­ni­ger ar­che­ty­pi­scher Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter der klas­si­schen Mo­der­ne durch ein ste­tes Durch­pro­bie­ren ei­ner hier­durch be­för­der­ten Op­tio­nen­viel­falt aus. A­na­log zu ei­ner da­raus re­sul­tie­ren­den He­raus­kris­tal­li­sie­rung in­di­vi­du­el­ler An­sät­ze, scheint sich auch im Hin­blick auf Mat­thias Nog­glers ak­tu­elle Werk­pha­se ei­ne Ten­denz zur wei­te­ren Spe­zi­fi­zie­rung neu­er­lich zum Aus­gangs­punkt ge­mach­ter Fra­ge­stel­lun­gen ab­zu­zeich­nen. Äußer­lich wür­de sich eine so vor­ge­stell­te Ab­kehr vom bis­lang an den Tag ge­leg­ten Bild­fin­dungs­fu­ror zu­min­dest mit ei­ner Re­duk­tion des for­ma­len Re­per­toi­res in Ab­gleich brin­gen las­sen, wel­che auf An­hieb bei der Be­trach­tung ei­ner mit Ite­ra­tions ü­ber­ti­tel­ten und der­zeit in der Köl­ner Ga­le­rie Drei zu be­sich­ti­gen­den Aus­stel­lung be­merk­bar wird. Gleich­wohl eine Rei­he zwei- und drei­far­bi­ger Cut-Outs und in Yves-Klein-Blau ge­hal­te­ner Groß­stadt­stras­sen­sze­nen aber­mals Ge­le­gen­heit bie­ten, wie nach Art ei­nes Zi­ta­te-Ra­tens an der küns­tle­ri­schen Hand­ha­bung hier ent­hal­te­ner Im­pli­ka­tio­nen zu par­ti­zi­pie­ren, stellt sich die Les­art dies­mal als kom­ple­xer he­raus. Oh­ne ei­ne fest­ge­zurr­te Aus­le­gungs­wei­se pa­rat zu stel­len, skiz­ziert der von Ju­lija Za­ha­ri­je­vić zu die­sem An­lass ver­fass­te Aus­stel­lungs­text As­pek­te, die von einer mitt­ler­wei­le wei­test­ge­hend in Ver­ges­sen­heit ge­ra­te­nen Pik­to­gramm­spra­che bis zu wahr­neh­mungs­psy­cho­lo­gi­schen Ei­gen­hei­ten sym­me­trisch dar­ge­stell­ter Ge­sich­ter rei­chen und de­ren wei­te­re Be­wandt­nis an die­ser Stel­le nicht vor­weg­ge­nom­men wer­den soll.

Matthias Noggler: Cityscape, 2023, Gouache auf Leinwand, 55 × 65 cm, Courtesy of the artist and Drei, Cologne

„Das Er­lö­sen­de für die Hin­ga­be an ein Kunst­werk liegt da­rin, dass sie ei­nem in sich ganz Ge­schlos­se­nen, der Welt Un­be­dürf­ti­gen, auch dem Ge­nießen­den ge­gen­ü­ber Sou­ve­rä­nen und Selbst­ge­nüg­sa­men gilt. (…) Zu­gleich aber ist das Er­leb­nis des Kunst­werks doch in un­ser Le­ben ein­ge­stellt und von ihm um­fasst; das Außer­halb un­se­res Le­bens, zu dem uns das Kunst­werk er­löst, ist doch eine Form die­ses Le­bens selbst, das Ge­nos­sen­wer­den die­ses vom Le­ben Be­frei­ten und Be­frei­en­den ist doch ein Stück Selbst, das mit sei­nem Vor­her und Nach­her zu des­sen Ganz­heit kon­ti­nu­ier­lich ver­schmilzt.“2 Si­tu­a­tio­nen, die als Ge­gen­stand vi­su­el­ler An­schau­ung ge­dacht wer­den kön­nen, kön­nen auch ge­malt wer­den und wenn man im Be­reich der hier­mit ab­ge­steck­ten Mög­lich­kei­ten in die Vol­len geht, tun sich neue Si­tu­a­tio­nen auf, aus de­nen sich wie­de­rum et­was um­so Se­hens- und Den­kens­wer­te­res ma­chen las­sen kann. Mat­thias Nog­gler tut ge­nau dies in de­zi­dier­ter Art und Wei­se, wo­bei das vom So­zio­lo­gen und Phi­lo­so­phen Georg Simmel als ein „Außer­halb un­se­res Le­bens“ be­schrie­be­ne Mo­ment von ei­ner Of­fen­heit kommt, mit der sich Kunst­gucke­rin­nen und -guckern glei­cher­maßen zu par­ti­ku­lä­ren Bild­ge­scheh­nis­sen wie auch zu dem in sei­ner Ge­samt­heit so be­schrit­te­nen Weg zu ver­hal­ten er­mög­licht wird. Dass eine äs­the­tisch mo­ti­vier­te Wahr­neh­mung der Din­ge auch da­zu gut sein kann, selbst­stän­dig ih­nen in­hä­ren­ten Schnitt­men­gen in un­ter­schied­lich­ste Denk­rich­tun­gen auf­zu­spü­ren, be­zeich­net ei­nen Er­fah­rungs­wert, der auch in An­be­tracht ei­nes al­le Sin­ne be­täu­ben­den Hin­ter­grund­rau­schens in­te­res­sant blei­ben könnte.

Matthias Noggler:
Iterations

5. Mai – 24. Juni 2023

Drei
Jülicher Strasse 14
50674 Köln

Öffnungszeiten:

Mittwoch bis Freitag 14 — 18 Uhr
Samstag 11 – 16 Uhr

Fußnoten

  1. Vgl. Diderot, Denis / Bassenge, Friedrich (Hrsg.): Ästhetische Schriften, Berlin 1984.
  2. Simmel, Georg / Latzel, Klaus (Hrsg.): Georg Simmel Gesamtausgabe 13: Aufsätze und Abhandlungen 1909-1918 I, Frankfurt a. M., 2000, S. 13

Schreibe einen Kommentar