Ausstellungsansicht Johannes Bendzulla, Courtesy Galerie Falko Alexander, Köln, Galerie Petra Rinck, Düsseldorf und der Künstler
Sexy Teeth – Johannes Bendzulla: Drinnen gemütlich – Draußen schön, Galerie Falko Alexander, Köln
Abgehetzt weil zu spät los bugsierte sich Friedrich durch die sich gerade schließende Schiebetür und stellte fest, dass auf jedem Vierersitz jeweils eine Person in Fahrtrichtung am Fenster saß. Da ihm nicht viel Besseres blieb, nahm er gegenüber einem jungen Mann mit kinnlangen schwarzgefärbten Haaren Platz, welcher gerade ein Loch in die Luft starrte. Unverdächtig dasitzend atmeten beide unentwegt Mikroorganismen aus, die sich in der Luft unsichtbare Scharmützel lieferten, sich gegenseitig fraßen und vögelten. Irgendwo bei Norf rauschten ein paar Kühe und Hühner an ihnen vorbei. Zufällig sah sich in diesem Augenblick auch der liebe Gott diesen Flecken Erde genauer an und von da oben sah die S-Bahn wie eine lange dünne Raupe mit viereckigen Öffnungen an den Seiten aus, durch die in Textilien gehüllte Lebewesen mit etwas Fell auf dem Kopf hinausguckten. Nach seiner Ankunft ging er zu einem Bahnhofskiosk, wo seinen Anweisungen folgend zwei Colakracher, zwei saure Schnuller, zwei Lakritzzungen und zwei Fruchtschnecken in ein kleines Papiertütchen gefüllt und ihm überreicht wurden. Monika wusste gar nicht wie ihr geschah, als sie, kaum einen Fuß auf den Bahnsteig gesetzt, einen sexy prickelnden Colakracherkuss bekam. Die Stadt, in der die Ausstellung stattfand, war echt schön. Unmittelbar neben dem Bahnhof stand eine riesengroße Kirche und auch sonst fand er es dort echt gut. Überall waren Fahrradfahrer, Schaufenster, Autos und Bäume. In einem Buch mit dem lustigen Titel Fräulein Smillas Gespür für Schnee hatte Friedrich gelesen, dass die Einwohner der Polarregion siebzehn verschiedene Worte für weiß auf Lager hatten und die hätte man inmitten der Räume, in die sie dann eintraten, gewiss gut gebrauchen können.
Johannes Bendzulla: Zahn im Sturm v2 / Tooth in a Storm v2, 2023, Inkjet Print auf Hahnemühle Photo Rag, gerahmt, 45 x 60 cm, Courtesy Galerie Falko Alexander, Köln, Galerie Petra Rinck, Düsseldorf und der Künstler
Bedächtig auf einer zuckrig ummantelten Lakritzzunge herumkauend sah sich Friedrich, während Monika schon auf den ersten Metern an einem bekannten Gesicht hängengeblieben war, die an der Wand hängenden Hochglanzexponate an, auf welchen passenderweise nichts als blitzblanke Zähne respektive Zahnimplantate, ganzer Gebisse oder sonstwie dentalmedizinisch Daherkommendes auszumachen war. Überdimensionierte Privatversicherten-Hauer ragten majestätisch inmitten luxuriös ausgestatteter Wohnräumlichkeiten empor, wurden auf kindergeburtstäglichen Bescherungstischen zwischen bunt geschmückten Paketen aufgeboten oder zum pittoresken Bestandteil einer alpinen Gebirgslandschaft gemacht. Gänzlich ungut sah es hingegen für einen wurzelentzündeten Zahnzombie aus, der im eisigen Wind einer sibirischen Einöde dem letzten Stadium seines Verfalls überlassen schien. Hier und da hatte sich der Künstler, ein gewisser Johannes Bendzulla, in Gestalt eines Männchens mit verformter Physiognomie, welches den anwesenden Kunstguckerinnen und -guckern stechende Blicke zuwarf, auch selbst in dieses partikuläre Geschehen eingebracht. Friedrich schaute sich um, sah, dass Monika nebst Entourage mit der Anfertigung von Selfies beschäftigt war und ging vor die Tür eine rauchen. Irgendwie schien die keimfreie Ästhetik dieser Zeit eingedenk des Persillächelns jener, die vor einem ringlichtbewehrten Objektiv um kleine Herzchen auf ihren Displays hustleten, zu einem evolutionären Auslesefaktor erwachsen zu sein. Der Stich ins Herz, den es bedeutete, wenn man beim Kampf um Aufmerksamkeit das Nachsehen hatte, war wohl kein anderer als jener, den ihre stammeshierarchisch organisierten Urahnen verspürt hatten, wenn sie bei der Aufteilung der gemeinsamen Jagdbeute leer ausgegangen waren. Man durfte gespannt sein, wie es menschheitstechnisch so weiterging, dachte Friedrich vor sich hin, während er mit seinem Blick ein paar hastige Passanten, die gerade anderes im Kopf hatten, über den Gehweg der anderen Straßenseite verfolgte.
Johannes Bendzulla: Untitled (living room 3), 2023, Inkjet Print auf Hahnemühle Photo Rag, gerahmt, 138 x 88 cm, Courtesy Galerie Falko Alexander, Köln, Galerie Petra Rinck, Düsseldorf und der Künstler
Er kam just wieder rein und wollte Monika fragen, ob sie allmählich gehen wollten, als er ein quirliges Kerlchen in lupenreinem Purple Rain Look herantänzeln und mit großen Augen ihren Oberkörper anglotzen sah. Er schien sich vor Begeisterung über das, was sie anhatte, kaum halten zu können. „Ooh Whee – Sonic Youth!“ Monika sah an sich herunter auf das T-Shirt besagter Band, welches sie vor vielen Jahren an einem Konzertstand erworben hatte und lächelte schief zurück. „You know Sonic Youth?“ – „Is a frog waterprooof?“ Häh? Er war ja ganz nett, aber was wollte der Mann? Ohne ihn mit einer unqualifizierten Entgegnung brüskieren zu wollen, ließen Monika und Friedrich seine Gegenfrage einen Moment lang im Raum stehen. „You ask me if I know Sonic Youth so I ask you back if a frog is waterprooof!!!“ Selten war Eis blitzartiger pulverisiert worden. Hinter ihrem neuen Freund baute sich jetzt ein sonnenbebrillter Hüne mit zwei ausladenden Plattenkoffern auf. „Hey I put you plus two for my DJ-Set in the Double-Fantasy-Rainbow-Soapbubble-Unicorn-Club but we leave immediately.“ und da, wo die vier soeben noch gestanden hatten, blieben im nächsten Augenblick nur noch kleine Luftverwirbelungen.
Johannes Bendzulla:
Drinnen gemütlich – Draußen schön
3. März – 8. April 2023
Falko Alexander
Venloer Str. 24
50672 Köln
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Samstag 14 — 19 Uhr