Ausstellungsansicht: Matthias Wollgast – Terminal Hel, Courtesy Galerie Rupert Pfab, Düsseldorf
Artist’s Artists – Matthias Wollgast:
Terminal Hel, Galerie Rupert Pfab
Eine signifikante Gemeinsamkeit zwischen dem New Yorker Bildhauer Bill Wechsler, dem Impressionisten Claude Lantier und dem blinden Nachkriegsavantgardisten Manuel Kaminski liegt in der Tatsache, dass es sich bei ihnen nicht um reale Personen, sondern um literarische Charaktere handelt.1 Dass die Erweiterung des schöpferischen Radius’, welche sich vom Schreibtisch aus über die Figur eines erfundenen Künstlers herbeiführen lässt, eine gern wahrgenommene Option darstellt, lässt sich prominent anhand einer von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen Enzyklopädie fiktiver Künstler von 1605 bis heute vor Augen führen.2 Inexistente Künstler fertigen inexistente Kunstwerke an, die mitsamt ihrer Urheber in den Köpfen von Schriftstellern entstehen und sich in jenen ihrer Leser widerspiegeln. Die Erläuterung realer Künstlerviten dient derweil einem umfassenden Verständnis eines ebenso realen und somit nicht nur sprachlich sondern gleichermaßen visuell vermittelbaren Œuvres. Komplizierter gestaltet sich die Maßgabe, beides miteinander zu kombinieren d.h. einen herbeifantasierten Künstler anhand vorzeigbarer Hervorbringungen vorzustellen, zumal ein dahingehendes Zusammenspiel zwischen Fakt und Fiktion auf eine inkonsistente Lesart hinausläuft. Eine Möglichkeit dies zu beheben besteht darin, der Erzählung einen dokumentarischen Anstrich zu geben und, wie im Fall des schottischen Romanciers William Boyd, in Form einer fingierten Biographie zu inszenieren. Der von Boyd im Rahmen einer kleinen PR-Verschwörung lancierten Nachricht, einen in der Versenkung verschwundenen Maler namens Nat Tate wiederentdeckt zu haben, folgte 1998 die Veröffentlichung eines identisch betitelten Buches, innerhalb dessen der Autor eigene Gemälde und Zeichnungen als Werkbeispiele des von ihm kreierten Fake-Künstlers ausgab.3
Standbild 20, Inkjetprint, 46cm x 55cm, 2018, ©Matthias Wollgast, Courtesy Galerie Rupert Pfab, Düsseldorf
Naturgemäß richtet sich eine der schreibenden Zunft vorbehaltene Aneignung der Künstler-Thematik weniger an bildnerischen als an narrativen Kriterien aus. Dabei erscheint die Frage danach, inwiefern ein vergleichbarer Vorgang unter umgekehrten Vorzeichen ebenfalls interessant sein könnte, nicht ganz abwegig. Davon, wie sich so etwas bewerkstelligen lässt, ließ sich im Mai 2016 im Bonner Paul-Clemen-Museum sowie ein Jahr später im Hetjens-Museum ein Eindruck gewinnen, wo unter dem Titel The Age of Neptune: Leben und Werk des Jan Usinger Arbeiten des Düsseldorfer Künstlers Matthias Wollgast präsentiert wurden. Wie es im dazu herausgegebenen Katalog hieß, fand die Ausstellung im Kontext eines vom Bonner Kunsthistorischen Institut durchgeführten Forschungsprojekts statt, zu welchem es wiederum durch die Entdeckung eines ominösen Künstlernachlasses gekommen sei.4 Entscheidend untermauert wurde die Glaubwürdigkeit der in Umlauf gebrachten Legende eines verschrobenen Autodidakten, dessen Collagen als Vorlagen für Wollgasts Plastiken und Bilder gedient haben sollten, durch ein rezeptionsästhetisches Mimikry in Form vorgeblicher kunstwissenschaftlicher Expertisen.
Figure No 49, 55cm x 49cm, 2018, ©Matthias Wollgast, Courtesy Galerie Rupert Pfab, Düsseldorf
Als ähnlich schwer durchschaubar erweist sich auch Wollgasts aktueller Werkzyklus, welcher zur Zeit in der Galerie Rupert Pfab zu sehen ist. Statt einer imaginären Person wird nun ein imaginärer Spielfilm zum Ausgangspunkt einer ihren eigenen Bezugsrahmen generierenden Arbeit gemacht. Die Exponate bestehen zum Einen in authentisch anmutenden Screenshots, die unter Beteiligung des Schauspielers Stefan Lampadius entstanden sind und sich scheinbar auf einen Plot beziehen, welcher in einer als Filmzeitschrift aufgemachten Publikation näher dargelegt wird.5 Dabei soll es um einen Polarforscher gehen, welcher infolge einer Lichtallergie in einem Londoner Keller haust und der sich, nachdem er sich über ein Foto in eine Frau verliebt hat, auf eine nächtliche Suche nach ihr begibt.
Ausstellungsansicht: Matthias Wollgast – Terminal Hel, Courtesy Galerie Rupert Pfab, Düsseldorf
Wie nach Art eines Filmmuseums werden den Standbildern vermeintliche Set-Aufbauten und Requisiten gegenübergestellt, wobei Letztere als Motive artifiziell gestalteter Abbildungen erscheinen. Entgegen des ersten Eindrucks, wonach es sich dabei um Computergrafiken handelt, beruhen die Darstellungen auf einem Verfahren der kameralosen Fotografie, im Zuge dessen der Künstler Zeichnungen von Schwarzweiß-Negativen angefertigt, reproduziert und infolge eines Entwicklungsvorgangs nachkoloriert hat.
Figure No 50, 55cm x 45cm, 2018, ©Matthias Wollgast, Courtesy Galerie Rupert Pfab, Düsseldorf
Ein Schauspieler, der so tut, als würde er an einem Film mitwirken, den es tatsächlich gar nicht gibt; eine Attrappe, die sich als bloße Nachbildung einer Attrappe herausstellt und Bilder, die nicht auf die Art und Weise entstanden sind, wie man selbstverständlich annehmen würde – eine Doppelbödigkeit, die weder hinsichtlich der thematischen Grundausrichtung noch in Fragen des Werkprozesses Gewissheiten zulässt, kann den Besuch dieser Ausstellung zu einem verunsichernden Erlebnis machen. Befördert wird diese Wirkung durch eine hohe technische Qualität, die den Objekten eine Aura der Seriosität verleiht. Eine etwaige Verwirrung mag sich auch daran festmachen, dass hier übliche Sichtweisen auf die Kunst ad absurdum geführt werden. Kunsthistorische und biographische Referenzen, die gemeinhin als verlässliche Beurteilungsfaktoren in den Blick gerückt werden, avancieren hier selbst zum Medium künstlerischer Gestaltung. Gleichwohl das Vexierspiel der Identitäten und Realitäten bei Matthias Wollgast noch als solches nachvollziehbar bleibt, zeichnen sich hier Tendenzen ab, die eine endgültige Ununterscheidbarkeit zwischen Künstler und Kunstfigur denkbar erscheinen lassen. Dies allein sollte Anlass genug sein, der Galerie Rupert Pfab umgehend einen Besuch abzustatten. Nebenbei ließe sich auf diesem Wege überprüfen, ob Matthias Wollgast wirklich existiert, oder ob ich ihn mir ausgedacht habe.
Matthias Wollgast
Terminal Hel
7. September – 3. November 2018
Galerie Rupert Pfab
Ackerst. 71
40233 Düsseldorf
Öffnungszeiten:
Mittwoch – Freitag 13 – 18 Uhr
Samstag 12 – 16 Uhr
Lernen Sie mit uns die Düsseldorfer Galerienszene kennen! Artesarticulo ist ein Verbund langjährig erfahrener Kunstvermittler/innen, die sich die Erkundung der aktuellen Ausstellungen im Zuge individueller Rundgänge zur Aufgabe macht. Diese werden in Kooperation mit der Düsseldorf Tourismus GmbH auch in Form öffentlicher Führungen angeboten.
Fußnoten
- Bill Wechsler ist eine der Hauptfiguren in Siri Hustvedts 2003 erschienenen Roman „Was ich liebte“; bei Claude Lantier handelt es sich um einen am realen Vorbild Paul Cézannes angelehnten Protagonisten in Émile Zolas erstmals 1885 veröffentlichten Roman „Das Werk“ (franz. „L’œuvre“) während Manuel Kaminski als Handlungsträger in Daniel Kehlmanns 2003 publizierten Roman „Ich und Kaminski“ auftritt.
- Vgl. Brams, Koen / Enzensberger, Hans Magnus (Hrsg.): Erfundene Kunst. Eine Enzyklopädie fiktiver Künstler von 1605 bis heute, Frankfurt a. M. 2003.
- Boyd, William: Nat Tate, 2010 Berlin
- Wollgast, Matthias: The Age of Neptune. Leben und Werk des Jan Usinger, Köln 2016.
- Wollgast, Matthias: The Steps with no Name, Wien 2018.